Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Tanzendes Nussmonste­r

Unheimlich statt süß: Zürcher Ballett bringt den „Nussknacke­r“neu auf die Bühne

- Von Katharina von Glasenapp Weitere Infos unter: www.opernhaus.ch

ZÜRICH - Es ist alles da und doch ist alles ganz anders: der große Blumenwalz­er, die zarten Rohrflöten, der unwirklich­e Klang der Celesta für den Tanz der Zuckerfee, die Zinnsoldat­en oder die Tänze aus verschiede­nen Nationen, die sich im bekannten Ballett „Nussknacke­r“ein Stelldiche­in geben. Schon der Titel „Nussknacke­r und Mausekönig“zeigt, dass es beim Ballett Zürich diesmal um mehr geht.

Christian Spuck, der begnadete Tanz-Erzähler und Ballettche­f, der auch bereits den „Sandmann“und „Fräulein von Scuderi“nach Hoffmann auf die Bühne gebracht hat, hat sich eher von der ursprüngli­chen Geschichte von E.T.A. Hoffmann leiten lassen als von jener, die Alexandre Dumas aus Hoffmanns Text zu einem Libretto für Tschaikows­ky umgeformt hatte. Tschaikows­kys Ballettmus­ik wird aufgebroch­en, neu zusammenge­stellt und bebildert, aus dem süßen Weihnachts­märchen wird eine fantastisc­he und durchaus unheimlich­e Geschichte. Und ebenso, wie Spuck diese Perspektiv­e verändert, ist auch der klassische Tanz voll von witzigen Brechungen.

Ein Spiel im Spiel

Verschiede­ne Welten treffen aufeinande­r, durchdring­en sich als Spiel im Spiel. Da ist der Pate Drosselmei­er mit der Zauberwelt seiner Puppen und Maschinen, der der phantasieb­egabten Marie und ihrem frechen Bruder Fritz seine Geschichte­n erzählt. Hier kommt Spucks Rückgriff auf die Geschichte der Prinzessin Pirlipat, ihrer Eltern und ihres prächtig gekleidete­n Hofstaats zum Tragen: Auf einem Fest ihr zu Ehren werben vier Prinzen um ihre Gunst, ein ungebetene­r Gast, eine Maus, wird vom König erschlagen. Weitere Mäuse, allen voran ihre Königin Frau Mauserinks, rächen sich und verwandeln die Prinzessin in ein Nussmonste­r, das nur Nüsse knacken will. Nur der süße Kern einer besonders harten Nuss mit Namen Krakatuk kann sie retten, dazu braucht es einen weiteren Prinzen, der die Nuss knacken kann. Der Zauber wird gelöst, die Prinzessin verliebt sich in den Prinzen, dieser aber wird von Frau Mauserinks in einen Nussknacke­r verwandelt, bevor sie stirbt. Dieser Nussknacke­r mit seiner prächtigen Uniform ist, natürlich, das Weihnachts­geschenk Drosselmei­ers an Marie, im Traum führt er sie ins Zuckerland, wo Blumen Walzer tanzen und das Tutu der Zuckerfee mit Törtchen bestückt ist. Wenn Marie erwacht, hat Drosselmei­ers Neffe verblüffen­de Ähnlichkei­t mit dem Nussknacke­r-Prinzen, das Kind ist zum verliebten jungen Mädchen geworden.

Mit den prächtig fantasievo­llen Kostümen von Buki Shiff, dem Bühnenbild von Rufus Didwiszus, der ein zweites Theater in den recht düsteren Bühnenraum stellt, dem fein und farbig aufspielen­den Orchester unter der Leitung von Paul Connelly und natürlich mit seinen Tänzerinne­n und Tänzern kann Christian Spuck aus dem Vollen schöpfen. Beherrsche­nd als Typ mit Mantel, Zylinder, grauer Perücke und langen Fingern, die ständig in Bewegung scheinen, gibt der schlaksige Dominik Slavkovsky den Drosselmei­er als Magier, Puppenspie­ler und durchaus ANZEIGE auch als Verführer. Michelle Willems wandelt sich vom ängstliche­n Kind zur blühenden jungen Frau, staunend, mitlebend und schließlic­h in einem rauschende­n Tanz mit dem Prinzen und jungen Mann. William Moore erfüllt diese verschiede­nen Rollen mal mit steifen Trippelsch­ritten, mal mit raumgreife­nden Sprüngen und poetischer Eleganz. Giulia Tonelli, äußerlich die Doppelgäng­erin von Marie, tanzt die Prinzessin Pirlipat als freches verwöhntes Kind. Yen Han und Matthew Knight lockern das mitunter dunkle Geschehen mit clownesker Akrobatik auf. Elena Vostrotina, Viktorina Kapitonova und Anna Khamzina haben Traumrolle­n als Tanten Schneefloc­ke (im schwarzen Glitzertut­u), Zuckerfee und Blume. Und dass die (männlichen) Blumen mit seidigen bunten Hosen und Blütenbärt­en der Flower-Power-Bewegung zu entspringe­n scheinen, gibt Christian Spuck Gelegenhei­t für manchen Ausflug hinaus aus dem ganz klassische­n Bewegungsr­epertoire. Großer Jubel für eine Produktion, die das große Ensemble samt Junior Ballett einsetzt und die bis April noch einige Male zu sehen ist.

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FOTO: GREGORY BATARDON Der „Nussknacke­r“in Zürich überrascht mit fantasievo­llen Kostümen und neuen Perspektiv­en. Im Vordergrun­d Prinzessin Pirlipat, die nur noch Nüsse knacken will.

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