Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Das beste Geschenk in meinem Leben“
Martin Henzler-Hermann erweist sich als äußerst Jazz-affiner Pfarrer
RAVENSBURG - Das beste Geschenk zu einem seiner Geburtstage ist ein Saxofon gewesen. Wenn Martin Henzler-Hermann, Pfarrer der Evangelischen Stadtkirche in Ravensburg, auf das goldfarben glänzende Instrument schaut, gerät er ins Schwärmen. Vom Jazz. Und im gleichen Atemzug vom „Trans 4 Jazzfestival“, das am Mittwoch, 8. November, beginnt. Wie bereits in den Jahren zuvor ist auch die Evangelische Kirche wieder einer der Auftrittsorte.
Eigentlich wollte Martin HenzlerHermann eine richtig gute gebrauchte Klarinette kaufen. Bekommen hat er ein Tenorsaxofon, und das zu seinem 40. Geburtstag. „Es ist das beste Geschenk in meinem Leben“, sagt er und schaut hinüber zu dem filigranen Kleinod, das an die 40 Jahre alt ist. Es gehörte davor dem Dirigenten des Musikvereins, in dem Henzler-Hermann seine ersten musikalischen Gehversuche gemacht hat. In einem kleinen Ort namens Linsenhofen im Neuffener Tal bei Nürtingen. Damals spielte er noch Klarinette. Neben das eher zierliche Tenorsaxofon hat er für das Gespräch im Matthäus-Gemeindehaus ein vergleichsweise wuchtiges Baritonsaxofon gestellt. Der Marke Selmer, die legendäre Jazzer wie John Coltrane, Benny Goodman oder Louis Armstrong bevorzugten.
Er sieht sich als „Nischen-Snob“
Am Beginn der 1920er-Jahre begann Henri Selmer in Paris mit dem Bau von Saxofonen. Die Selmer Company ist bis heute ein Familienunternehmen, deren Instrumente ihren Platz auf den Bühnen der ganzen Welt haben. Auch Hermann-Henzlers ebenfalls mehr als 35 Jahre altes Baritonsaxofon haben berühmte Musiker gespielt. „Ich bin ein Nischen-Snob“, entfährt ihm dabei. Was heißen soll, dass es ihm seine Saxofone angetan haben. Ihnen kann er nicht widerstehen. Anderen Dingen mit Statuscharakter dafür umso mehr.
Nach besagtem Geburtstag nahm er in Weikersheim, wo er zwölf Jahre die Pfarrstelle bekleidete, bevor er nach Ravensburg überwechselte, ein Jahr Unterricht. In Niederstetten und in Bad Mergentheim spielte er dann als sogenannter Lead-Altus in zwei Big Bands. Die kraftvollen Bläsersätze in solchen Formationen, die seien ihm sehr lieb. Wie in der Big Band Ravensburg, in die er mit seinem Umzug ins Schussental vor acht Jahren eingetreten ist. Bis er vor einem Jahr gemerkt hat, dass Beruf und Hobby sich zeitlich nicht mehr vereinbaren lassen. Am Schluss gab es noch eine „Pfarrer-Combo“, die sich ebenfalls aufgelöst hat. Im Moment spiele er öffentlich nicht mehr, doch seine Leidenschaft für den Jazz ist unüberhörbar.
Lyrisches im Kirchenraum
Wenn schon nicht selbst musizierend, dann findet sie ihren Ausdruck in den vom Kirchengemeinderat mitbeschlossenen Gastauftritten namhafter Künstler im Kirchenraum. Nicht nur im Rahmen des „Trans 4 Jazzfestivals“, sondern beispielsweise auch in der Vorweihnachtszeit. Einigen Besuchern dürfte das Konzert mit dem Posaunisten Nils Landgren noch in guter Erinnerung sein. Die Band Enders Dom mit Trompeter Nils Petter Molvaer (2013), das Trio Mediaeval mit Trompeter Arve Henriksen (2014) und zuletzt der von 850 Jazzfreunden besuchte Auftritt der Sängerin Mari Boine (2016) sprechen für die Qualität des Raums.
Die Kirche sei kein normaler Konzertsaal, so der Pfarrer. Hier würde nicht jede Formation hineinpassen. So kämen die Funk-Rhythmen der holländischen Jazzsaxofonistin Candy Dulfer im Konzerthaus am 11. November bestens zur Geltung. Hingegen das Duo mit Trompeter Paolo Fresu aus Sardinien und Gitarrist Bebo Ferra, das am Sonntag, 12. November, um 17 Uhr das Finale des „Trans 4 Jazzfestivals“bestreitet, sei wie gemacht für den Kirchenraum. Hier gehöre etwas Lyrisches hinein – etwas, das einen besonderen Zauber verbreitet. Für den Jazz-affinen Pfarrer Henzler-Hermann haben Religion und Musik auf einer Metaebene durchaus Ähnlichkeiten. Für die evangelische Kirche sei es einerseits die Betonung einer intellektuellen Ausrichtung mit Werken von Johann Sebastian Bach. Andererseits der Freiheitsgedanke, den beispielsweise der Jazz verkörpere.