Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Trump glaubt, Klimaerwärmung ist ein chinesisches Märchen“
Alberto Acosta, einer der führenden Intellektuellen Südamerikas, im Interview über die Bewegung Buen Vivir – das Gute Leben
WEINGARTEN - Einer der führenden Intellektuellen Südamerikas, der Ecuadorianer Alberto Acosta, kommt nach Weingarten und referiert am heutigen Freitag im Tagungshaus der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart über die Bewegung Buen Vivir, die das Recht auf ein Gutes Leben fordert und vor katastrophalen Folgen warnt, sollte sich die Gesellschaft nicht ändern. Im Interview mit Oliver Linsenmaier spricht Acosta über die Idee vom Guten Leben, erklärt, warum das Pariser Klimaabkommen auf einem Irrtum basiert, und gibt Anregungen, was jeder Einzelne für das Gute Leben machen kann.
Sie werden in Weingarten über das Buen Vivir – das Gute Leben – sprechen. Was bedeutet das?
Die Menschheit hat noch nie über so viele materielle Ressourcen, technische und wissenschaftliche Kenntnisse verfügt wie heute. Die Menschheit ist reich und mächtig wie noch nie. Trotzdem ist die Menschheit nicht glücklicher. Wir sehen eine Vielzahl an Katastrophen vor uns. Die Zukunft der Menschheit ist ziemlich düster. Daher müssen wir uns fragen, ob es Alternativen gibt – und die gibt es. Unsere Ideen von Buen Vivir stammen aus den indigenen Kulturen aus der Andenregion und aus dem Amazonasbecken, die noch ausgebeutet, marginalisiert und gedemütigt werden.
Aber können Sie die Idee etwas greifbarer machen?
Es gibt wichtige Merkmale des guten Lebens, die uns helfen, die Welt anders zu gestalten: Gemeinschaftssinn, Verbundenheit mit der Natur und die Spiritualität zwischen MenWelt schen und nicht menschlichen Wesen. Der Gemeinschaftssinn ist sehr wichtig, weil die indigene Betrachtung den Menschen als Individuum, aber auch Teil einer Gemeinschaft sieht. Wir sind keine alleinstehenden Individuen wie ein Robinson Crusoe, der alleine auf einer verlorenen Insel lebt. Weil wir in der Gemeinschaft integriert sind, führt das zu ganz konkreten Handlungen in Wirtschaft, Politik und im Sozialleben. Zur Verbundenheit mit der Natur: Die Natur, die Mutter Erde ist für die indigenen Völker keine Metapher, das ist eine tägliche Wirklichkeit. Vielmehr ist die Natur ein Subjekt mit Rechten. Wir Menschen müssen uns mit der Natur versöhnen und dürfen sie nicht weiter ausbeuten. Und die Spiritualität bedeutet nicht Religion. Wir beziehen das auf Kooperation, Vertrauen und Solidarität. Also Komplementarität statt Egoismus, Nachhaltigkeit statt ständiges Wirtschaftswachstum, Gegenseitigkeit statt Profit oder Kooperation statt Akkumulation. Da gibt es viele Ansätze. Wir können eine neue gestalten, die auf der Basis von Gleichgewicht und Harmonie besteht.
Wie kann man all das mit dem omnipräsenten Kapitalismus in Einklang bringen?
Man kann diese Ideen aus dem Süden nicht ohne Weiteres auf den Norden übertragen. Es sind andere Kulturen, andere Visionen, andere ökologische Situationen. Doch obwohl diese Ideen nicht mit dem Kapitalismus zusammenpassen, können sie uns innerhalb des Kapitalismus Alternativen aufzeigen. Das ist die große Herausforderung, die vor uns steht: Wie können wir den Kapitalismus von innen überwinden.
Was kann jeder Einzelne leisten?
Die Menschen müssen sich wieder in der Gemeinschaft finden. In der Gemeinschaft können wir diese ganz konkreten Ideen in die Praxis umsetzen. In kleinen Gemeinden geht das einfacher als in der nationalen oder globalen Politik. Trotzdem müssen wir auch national und global agieren. Ich habe aber kein Patentrezept. Ich gebe nur Anregungen. Man könnte die Steuerparadiese abschaffen, mit Steuern die Spekulationen eindämmen und hoch verschuldeten Ländern ihre Schulden erlassen, so wie Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt Möglichkeiten, aber das ist eine Frage der Macht. Wir können nicht warten, bis die Leute das einsehen. Wir müssen heute anfangen, unsere Welt anders zu gestalten. Wir müssen etwas tun. Die Welt muss gerettet werden.
Wie geht es sonst weiter?
Wenn wir Fernseh schauen, sehen wir schon das Horrorszenario. Jeden Tag bekommen wir komplexere Nachrichten. Die Situation hat sich ständig verschlechtert. Wir leben in einer Zeit großer Umwälzungen, in der sich die Ereignisse überschlagen. Hunger in Afrika, Waldbrände in Europa, Überschwemmungen in Amerika. Aber auch politisch betrachtet. Donald Trump hat die Weltpoltitik durcheinandergebracht, die Situation in Europa mit dem Brexit oder mit der Forderung nach Unabhängigkeit von Katalonien oder die Migrationsprobleme. Die Menschen können sich in dieser Welt nicht frei bewegen, das Kapital aber schon und das ist schlimm.
Sehen Sie da in Sachen Umwelt das Pariser Klimaabkommen als einen wichtigen Schritt?
Das Pariser Abkommen ist sehr ungenügend, um die großen Aufgaben zu meistern. Die festgehaltenen Verpflichtungen werden nicht reichen, um die vorgegebene 1,5-Grad-Erwärmung einzuhalten. Wenn alle Länder das einhalten, was sie versprochen haben, kämen wir auf 2,5 oder 3 Grad Erwärmung. Das wäre katastrophal für die Welt. Und dann will der amerikanische Präsident noch aus diesem Abkommen aussteigen. Er ist ein komplizierter Mann. Er will sich von diesem Abkommen zurückziehen, weil er glaubt, dass die Klimaerwärmung ein chinesisches Märchen ist. Das ist wirklich gefährlich. Das macht mir große Sorgen. Das Pariser Abkommen basiert auf einem großen Irrtum. Das Pariser Abkommen stellt das ständige Wirtschaftswachstum nicht infrage. Das ist ein weiteres Problem. Und drittens: Das Pariser Abkommen fordert immer weiter die Vermarktung der Natur, die sogenannte grüne Volkswirtschaft. Das ist für mich Quatsch. Wir müssen die Natur entmarkten, daher sprechen wir von Rechten der Natur. Wasser beispielsweise darf nicht privatisiert werden. Wir müssen die Ernährung als ein Menschenrecht betrachten. Und das erfordert wiederum große Veränderungen: Umverteilung des Einkommens, des Reichtums, der Macht. In diesem Rahmen brauchen wir immer mehr Demokratie, nie weniger.