Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Direktorin
Auf Audrey Azoulay, die als zweite Frau an die Spitze der Unesco gewählt wurde, warten gewaltige Aufgaben: Die frühere französische Kulturministerin muss die Spaltung der UNOrganisation kitten und sie neu ausrichten. Die Austritte der USA und Israels stellen das Ziel der 1945 gegründeten Unesco infrage, durch Kultur, Bildung und Wissenschaft den Frieden in der Welt zu fördern. „In diesen Krisenzeiten muss man sich mehr als sonst in der Unesco engagieren, sie stärken und reformieren“, sagte die 45Jährige, die Nachfolgerin der Bulgarin Irina Bokowa ist.
Die verheiratete Mutter zweier Kinder war ursprünglich als Außenseiterin ins Rennen gegangen, obwohl den ungeschriebenen Regeln der UN zufolge Frankreich als Sitz der Organisation keinen Kandidaten stellen sollte. Doch Ex-Präsident François Hollande hatte die in Paris geborene Tochter einer marokkanisch-jüdischen Familie ins Spiel gebracht. Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte sie in Marokko. Ihr Vater André Azoulay hatte jahrzehntelang den König beraten und galt als Pate der Wirtschaftsreformen der 1990er-Jahre. „Ich hatte eine Japanerin als beste Freundin, dann eine Neuseeländerin. Meine Schwestern waren mit Iranerinnen befreundet. Ich erinnere mich nicht an nationalistische Streitigkeiten oder Antisemitismus“, sagt Azoulay. Konflikte erlebte Azoulay erst, als sie die französische Elite-Verwaltungshochschule ENA besuchte: „Das war ein Schock. Ich habe brutal den Antisemitismus des alten Frankreichs entdeckt.“
Die bekennende Linke gehörte acht Jahre lang zur Leitung des nationalen Kinozentrums CNC, wo sie an der Seite von Regisseur Costa-Gavras versuchte, den französischen Film gegen die Übermacht aus Hollywood zu verteidigen. Die nach außen hin sanft wirkende Frau gilt als energisch und durchsetzungsfähig. Diese Eigenschaften muss Azoulay nun an der Spitze der Unesco zeigen. Christine Longin und AFP