Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Laternen zu Ehren St. Martins

Der Kirchenpat­ron Weingarten­s galt als Idealbild des Priesters in der Spätantike

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN - Amiens, Frankreich, im Winter 334. Ein Reiter der kaiserlich­en Garde begegnet am Stadttor einem armen, unbekleide­ten Mann. Kurzerhand zieht der Soldat, der außer seinen Waffen und seinem Militärman­tel nichts bei sich trägt, aus Barmherzig­keit sein Schwert, teilt seinen weißen Überwurf in zwei Teile und gibt eine Hälfte dem Bettler.

Die Geschichte des heiligen St. Martin kennt im wahrsten Sinne des Wortes wohl jedes Kind. Kaum eine Generation ist noch nicht schon einmal in ihrem Leben singend am 11. November mit einer selbst gebastelte­n Laterne durch dunkle Straßen oder Parks gelaufen und hat sich eine nachgestel­lte Situation der Geste des Reiters angesehen. Für Weingarten hat er noch einmal eine ganz spezielle Bedeutung. St. Martin ist Kirchenpat­ron und als potenziell­er Namensgebe­r der Stadt hat er tiefe Spuren hinterlass­en.

Laternentr­adition geht auf Lichterpro­zession zurück

Doch nicht allein die barmherzig­e Geste des Heiligen feiert die christlich-abendländi­sche Kultur. Der 11. November ist das Datum der Beerdigung des Martin von Tours - wie St. Martin offiziell heißt. Die Tradition der Laternen geht auf jenes Datum zurück, da Martins Leichnam in einer Lichterpro­zession mit einem Boot nach Tours überführt wurde. Und die Martinsgan­s, die viele an diesem Tag zubereiten, beruht auf einer Anekdote, nach der Martin sich in einem Gänsestall versteckte, weil er sich für die Berufung zum Bischof von Tours im Jahr 371 unwürdig fühlte. Die schnattern­den Tiere verrieten seinen Aufenthalt­sort. Martin musste das Amt annehmen. Bis zu seinem 40. Lebensjahr war er Soldat. Seine Versuche, früher aus dem Dienst auszuschei­den, waren vergeblich. Erst im Jahr 356 verließ er das Militär, nach 25-jähriger Dienstzeit. Martin von Tours, der meist als asketische­r Mönch lebte - selbst als Bischof von Tours wohnte er in einer Holzhütte vor den Stadtmauer­n – war das spätantike Ideal eines Bischofs oder Priesters. Als Nothelfer und Wundertäte­r wurde er schnell bekannt und galt als Bindeglied zwischen Rom und dem Reich der Franken. Martin ist Schutzpatr­on von Frankreich und der Slowakei. Er wird als Landespatr­on des Burgenland­es und als Patron der Stadt Mainz, des Eichsfelds sowie als Patron des Mainzer Doms verehrt. Seit der Christiani­sierung Altdorfs ist er Kirchenpat­ron. Die Mönche aus Altomünste­r hatten 1056 auf dem später sogenannte­n Martinsber­g dieses Patroziniu­m übernommen. Die Weihe des Kirchenneu­baus im Jahr 1162 erfolgte „besonders aber zu Ehren des heiligen Bischofs Martin“, wie es in einem Urkundenbu­ch heißt. Reliquien des Heiligen verehrte man im Hauptaltar. Als diese ein Kirchenbra­nd im Jahr 1215 vernichtet­e, erhielt man Ersatz von der Reichenau.

Ein Blick in die Geschichte fördert noch ein weiteres interessan­tes Detail zutage. Historiker hielten lange Zeit „Weingarten“für den ursprüngli­chen Namen des Klosters, da zeitgenöss­ische Dokumente dies nahelegten. Wie sich jedoch herausstel­lte wurde in diesen Dokumenten „Weingarten“als Name des Klosters nachträgli­ch hinzugefüg­t, um die Umbenennun­g zu legitimier­en. Denn im Stiftertes­tament von 1094 heißt das Kloster „Kloster Sankt Martin in Altdorf“. Und auch die erste originale Papsturkun­de von 1105 zeigt diese Form. Weshalb aber wurde aus Weingarten schließlic­h Weingarten? Anlässlich des Klosterneu­baus 1124 entschied man sich für einen neuen Namen, wohl auch deshalb, weil die Mönche damit ihre Unabhängig­keit von den Welfen nach außen hin zeigen wollten. Der neue Name lautete, wenn er vollständi­g ausgeschri­eben ist „Kloster Sankt Martin in Weingarten.“Dass sich „Sankt Martin“als Kurzform nicht durchgeset­zt hat, liegt wohl an der Tatsache, dass diese Bezeichnun­g nicht eindeutig gewesen wäre, weil zu viele Kirchen und Klöster nach ihm benannt waren.

 ?? FOTO: PICTURE ALLIANCE ?? Die Mantelspen­de des heiligen Martin von Tours. Wandmalere­i aus dem 14. Jahrhunder­t von Dom Spilimberg­o (Friaul, Italien).
FOTO: PICTURE ALLIANCE Die Mantelspen­de des heiligen Martin von Tours. Wandmalere­i aus dem 14. Jahrhunder­t von Dom Spilimberg­o (Friaul, Italien).

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