Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kunst und Information auf einen Streich
Künstlerplakate sind beliebte Sammelobjekte und schmücken viele Wohnungen und Museen
Plakate sind eines der ältesten Kommunikationsmittel zur Information einer größeren Anzahl von Menschen. Medienhistoriker sehen in den Holztafeln, auf denen im antiken Rom Bekanntmachungen der Behörden veröffentlicht wurden, erste Vorläufer des modernen Plakats. In der Frühen Neuzeit kamen Anschläge mit Schrift und bildlichen Darstellungen auf, mit denen vor allem fahrendes Künstlervolk zu seinen Auftritten einlud.
Das Künstlerplakat entwickelte sich erst im ausgehenden 19. Jahrhundert, erlebte aber gleich eine erste Blüte, vor allem durch das Schaffen von Henri de Toulouse-Lautrec. Die Plakate, die dieser französische Maler und Grafiker für das Moulin Rouge und andere Pariser Varietés gestaltete, sind nicht nur bedeutende Kunstwerke, sondern gelten auch als eindrucksvolle Zeugnisse der Kultur und des überschäumenden Lebensgefühls der Menschen in der zum baldigen Untergang bestimmten Epoche des Fin de Siècle.
Künstlergruppe „Brücke“
Während Toulouse-Lautrec noch als später Vertreter des Impressionismus gilt, entwarfen etwa zur gleichen Zeit andere europäische Künstler, wie der Belgier Henry van de Velde, der Tscheche Alfons Mucha oder der Engländer Aubrey Beardsley, Plakate, die zu den schönsten bildnerischen Dokumenten des Jugendstils zählen. Etwas später waren es dann in Deutschland Mitglieder der Künstlergruppe „Brücke“um Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Max Pechstein, die außergewöhnliche Plakate für ihre Ausstellungen entwarfen.
Zu einem regelrechten Boom des Künstlerplakats kam es aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die ganz Großen der internationalen Kunstszene, Pablo Picasso, Marc Chagall, Joan Miró und andere, das Plakat als eigenständiges künstlerisches Ausdrucksmittel entdeckten, um damit für ihre Ausstellungen, aber auch für andere Anlässe und politische Anliegen zu werben. In Deutschland war es vor allem der Holzschneider HAP Grieshaber, der sich als Plakatkünstler einen Namen machte, und damit auch einigen seiner Schüler, Horst Antes etwa oder Fritz Genkinger, zum Vorbild wurde.
Kreativ und informativ
Da mit dem Künstlerplakat – wie mit jedem Plakat – immer eine Information an den Mann gebracht werden soll, ist die Frage durchaus berechtigt, ob hier noch die Forderung nach Zweckfreiheit der Kunst erfüllt ist. Zweifel, die in dieser Frage zum Ausdruck kommen, konnten aber der Beliebtheit des Künstlerplakats nicht schaden. Im Gegenteil, Künstlerplakate werden von Museen und Privatleuten gern gesammelt, sie schmücken unzählige Wohnungen und sind Thema viel beachteter Ausstellungen. Das Kunstmuseum Heidenheim beispielsweise besitzt die weltweit größte Sammlung von Picasso-Plakaten, aber auch umfangreiche Plakat-Konvolute von Joan Miró, HAP Grieshaber und Horst Antes.
Puristen unter den Kunsttheoretikern tun sich manchmal schwer, wenn es darum geht, ob Künstlerplakate als Originale bezeichnet werden können, und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Plakat-Liebhaber und -sammler sehen hier in aller Regel kein Problem. In Wirklichkeit ist ja auch jedes Plakat, sofern es sich nicht um einen späteren Nachdruck handelt, schon deshalb ein Original, weil es durch die kreative Leistung eines oder mehrerer Menschen entstanden ist. Allerdings sind beim Künstlerplakat vier Stufen der Originalität zu unterscheiden. Zur höchsten zählen Plakate, die in Bild und Schrift komplett vom Künstler selbst gestaltet und in einer originalgrafischen Technik (vor allem Holz-, Linolschnitt und Lithografie) gedruckt worden sind. Wenn ein solches Plakat zusätzlich vom Künstler signiert und mit einer Auflagennummer versehen ist, wird es dadurch zwar nicht noch „originaler“, aber für den Kunstmarkt deutlich wertvoller. Trägt ein Plakat etwa die Auflagennummer 3/100 ( = drittes von 100 Exemplaren), so bedeutet das freilich nicht immer, dass es tatsächlich nur 100 Stück davon gibt. Oft handelt es sich dabei auch um eine, wie man bei Büchern sagen würde, Vorzugsausgabe einer weit höheren Gesamtauflage.
Hauptsache gut erhalten
Bei Plakaten der zweiten Originalitätsstufe liefert der Künstler ebenfalls einen Entwurf mit Bild und Schrift. Die Vervielfältigung erfolgt aber in einem Reproduktionsdruckverfahren. Die dritte Originalitätsstufe zeichnet sich dadurch aus, dass der Künstler für das Plakat zwar noch eine eigens angefertigte bildliche Darstellung zur Verfügung stellt, die Gestaltung des Plakats aber jemand anderem überlässt. Mit Plakaten der vierten Stufe schließlich hat der Künstler selbst gar nichts mehr zu tun. In diesem Fall gestaltet ein Grafikdesigner das Plakat in voller eigener Verantwortung und nur unter Verwendung des Fotos eines Gemäldes, einer Zeichnung oder auch einer Skulptur des Künstlers.
Wie bei allen Kunstwerken, so spielt auch bei Künstlerplakaten der Erhaltungszustand eine Rolle, wenn es um den materiellen Wert geht. Allerdings stellen Sammler hier etwas geringere Ansprüche als bei reiner Künstlergrafik. Das hängt damit zusammen, dass auch Künstlerplakate vor allem Informationsmedien sind und deshalb für robustere Verwendungszwecke gemacht werden als Radierungen oder Lithografien, die nie mehr sein wollen als gerahmter Wandschmuck oder kostbarer Inhalt einer Grafikmappe.
Als eine Unsitte, ja einen Frevel betrachten es Plakat-Liebhaber, wenn bei einem Künstlerplakat die Schrift weggeschnitten und nur das Bild an die Wand gehängt wird. Dann kann in der Tat von einem Original keine Rede mehr sein. Dann ist das Kunstwerk Plakat zu einem wertlosen Poster verkommen.