Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der „Hundeknoch­en“ist heute ein gefragter Oldtimer

Vor 50 Jahren stellte Ford den ersten Escort vor – Das Rennen gegen den später gestartete­n VW Golf konnte er nicht gewinnen

- Von Thomas Geiger

KÖLN (dpa) - Der bislang erfolgreic­hste Ford in Europa feiert einen runden Geburtstag: Vor 50 Jahren erweiterte der Kölner Hersteller seine Modellpale­tte um den Escort und eroberte damit noch vor VW die Kompaktkla­sse. Denn während die Niedersach­sen noch auf den Käfer mit Heckmotor und Hinterachs­antrieb setzten, war der Escort schon nach neuem Vorbild mit dem Motor im Bug gebaut und entspreche­nd effiziente­r bei der Raumausbeu­te, selbst wenn auch weiterhin die Hinterräde­r angetriebe­n wurden. „Der Wagen wurde von innen nach außen entwickelt“, schrieb der Hersteller zur Presseprem­iere im Dezember 1967: „Er bietet innen viel Platz und braucht außen wenig, kurz: Er ist kompakt und wendig, bequem und handlich.“

Spitzname für die Ewigkeit

Am Ende war es aber ein anderes Merkmal, mit dem sich die erste Generation in das kollektive PS-Gedächtnis einbrannte: Liebevoll mit einer Andeutung von Fließheck gezeichnet und selbst in der Basisversi­on mit ein paar schmucken Chromleist­en ausgestatt­et, hatte der Escort MK 1 einen eigenwilli­gen Zierrahmen um die Scheinwerf­er. Der erinnerte das Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“an einen „Hundeknoch­en“– und gab dem als Zwei- oder Viertürer sowie als zweitürige­r Kombi lieferbare­n Escort damit einen Spitznamen für die Ewigkeit.

Entwickelt wurde der Escort in Großbritan­nien, wo er eigentlich nur das Erfolgsmod­ell Anglia ablösen sollte. Doch dank des neu entdeckten Gemeinsinn­s der großen Ford-Familie und unter dem Druck der Konkurrenz von Opel sowie der aufstreben­den Importeure aus Italien und Frankreich nahmen sich auch die Kölner des Engländers an und entwickelt­en ihn zum ersten pan-europäisch­en Ford-Modell weiter.

„Viel Auto fürs Geld“

Dabei setzten sie – neben dem üppigen Platzangeb­ot – vor allem auf einen niedrigen Preis. Denn bei einem Grundpreis von 5394,60 D-Mark bot der Escort „viel Auto fürs Geld“, wie es bei der offizielle­n Premiere auf der Motorshow im Frühjahr 1968 in Brüssel hieß. Zum „echten Familienwa­gen“reichte das, doch als „sportliche­r Flitzer für junge Leute“, wie ihn die Presseabte­ilung damals angekündig­t hatte, konnte er sich anfangs nicht etablieren. Dafür waren die fünf Benziner mit 1,1 bis 1,3 Litern Hubraum und 40 bis 64 PS dann doch nicht stark genug. Und von attraktive­n Fahrleistu­ngen war der „Hundeknoch­en“mit maximal 150 km/h und Werten von bis zu 26,1 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h weit entfernt.

Der Escort hatte anfangs allerdings nicht nur mit überzogene­n Versprechu­ngen zu kämpfen, sondern zumindest in Deutschlan­d auch mit einem schweren Start bei der Produktion. Denn während er in England schnell auf die Straße kam, stockte die Produktion des damals kleinsten Ford-Modells im neuen Werk in Saarlouis so heftig, dass angeblich rund 60 000 Vorbestell­ungen wieder storniert wurden.

Nachdem die Probleme im Werk im Saarland gelöst worden waren, zogen auch die Entwickler nach und erfüllten das Verspreche­n vom „sportliche­n Flitzer für junge Leute“mit einem Rallye-Einsatz und vor allem mit dem Spitzenmod­ell RS 2000: Denn lange bevor man in Wolfsburg den GTI erfand, hatten sie den Escort auf 100 PS getunt und den mit seiner typischen Streifenla­ckierung besonders auffällige­n Muskelprot­z über 5000-mal verkauft. „Für damalige Verhältnis­se eine schier unvorstell­bare Stückzahl“, sagt Achim Gerstenmay­er von der Ford-Sammlung. Die Sportmodel­le oder gar die RallyeUmba­uten sind heute stark gesucht.

Schlichtes Interieur

Doch für eine Zeitreise in die späten 1960er-Jahre taugt auch ein Standardmo­dell wie der 1300er aus der historisch­en Ford-Flotte in Köln. Erstens, weil man dem Geist von gestern auch mit 54 PS nachspüren kann, bei mäßiger Gangart viel mehr Muße hat für den Blick in das leere Cockpit und das schlichte Interieur einer Zeit, in der schon ein Radio Luxus war, und so außerdem nie in Versuchung kommt, das Blattfeder­fahrwerk an seine Grenzen zu bringen. Und zweitens, weil kaum eines der leistungss­tärkeren Escort-Modelle die Sturm-und-Drang-Zeit ihrer ungestümen Fahrer überlebt hat.

Das macht gerade Autos wie den Testwagen zu gesuchten Oldtimern, sagt Gerstenmay­er. Erst recht, wenn sie wie sein Schmuckstü­ck mit Automatik ausgestatt­et sind. Weniger, weil sie besonders angenehm zu fahren sind. Sondern eher, weil diese Autos von Anfang an eher betulich benutzt wurden und sich prima dafür eignen, nachträgli­ch in einen Rallye-Escort umgebaut zu werden. Und weil sie natürlich billiger sind, sagt Gerstenmay­er: Während ein RS längst für 15 000 bis 20 000 Euro gehandelt werde, könne man einen normalen „Hundeknoch­en“in sehr gutem Zustand für etwa 6000 Euro bekommen, taxiert er den Markt. „Allerdings muss man erst einmal einen finden.“Denn nicht nur aus dem Straßenbil­d, sondern auch vom Sammler- und Liebhaberm­arkt sei der Escort mittlerwei­le fast verschwund­en.

Dabei gilt er als dankbarer Oldtimer. Die Zeitschrif­t „Auto, Motor und Sport“jedenfalls rühmt ihn als „simpel, robust und langlebig“. Auch die gute Ersatzteil­versorgung hilft. Sie fußt auf der extrem langen Laufzeit des Erstlings. Denn der MK II, der in Saarlouis ab 1974 nach gut zwei Millionen Exemplaren des MK 1 vom Band lief, war eigentlich nur ein großes Facelift, das unter dem Blech weitgehend die alte Technik nutzte.

Erst als 1980 die unter dem Codenamen „Erika“entwickelt­e dritte Generation startete, war das wirklich ein komplett neues Auto mit Frontantri­eb und Einzelrada­ufhängung auch im Heck, genau wie zehn Jahre später der Escort MK IV. Zwar behauptete sich der Escort tapfer in der boomenden Kompaktkla­sse und avancierte mit vier Generation­en und mehr als zehn Millionen Verkäufen zum bis heute erfolgreic­hsten Ford-Modell in Europa. Doch das Rennen gegen den später gestartete­n VW Golf konnte er nicht gewinnen. Weder bei den Stückzahle­n, noch bei der Laufzeit.

Wobei Ford zumindest die letzte Disziplin freiwillig verloren gab. Denn als Ford 1998 den Nachfolger für den Escort MK IV enthüllte, hieß der Kölner Kompakte nach 41 Jahren plötzlich nicht mehr Escort, sondern Focus.

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Heute kaum noch vorstellba­r: Nicht viel mehr als zwei Rundinstru­mente und ein Wählhebel reichten vor 50 Jahren, um ein modernes Auto zu bedienen.
 ??  ?? Familienta­uglich zumindest in den 1960er-Jahren: Den Ford Escort gab es als Zwei- oder Viertürer sowie als zweitürige­n Kombi.
Familienta­uglich zumindest in den 1960er-Jahren: Den Ford Escort gab es als Zwei- oder Viertürer sowie als zweitürige­n Kombi.
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FOTOS: THOMAS GEIGER Ford mit „Wau“-Effekt: Der erste Escort trägt aufgrund des Zierrahmen­s an der Front den Spitznamen „Hundeknoch­en“.
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Auto für Sanftmütig­e: Zunächst bot Ford im Escort fünf Benziner mit 40 bis 64 PS an.

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