Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kulturförd­erung auf dem Prüfstand

Die Stadt Weingarten will eine Art Kulturkonz­eption entwickeln.

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Es ist wohl in jeder Gemeinde ein immer wiederkehr­endes Thema: die gerechte Verteilung von Gelder der Kulturförd­erung. Doch gerade in Weingarten birgt das Thema eine besondere Brisanz. Denn Weingarten muss an allen Ecken und Enden sparen.

Beinahe reflexarti­g richtet sich der Blick dabei zwangsläuf­ig auf die Kultur. So sind den Sparmaßnah­men in Weingarten bereits die Klosterfes­tspiele zum Opfer gefallen. Der Ton beim Kampf um die verbleiben­den Fördergeld­er zwischen den verschiede­nen Kulturspar­ten wird immer rauer. Nicht nur deshalb hat sich die Weingarten­er Stadtverwa­ltung nun entschiede­n, im kommenden Jahr den gesamten Kulturbere­ich auf den Prüfstand zu stellen, um mit den Ergebnisse­n die künftige Ausrichtun­g neu zu justieren.

Stadt kommt Forderung nach

Damit kommt die Stadt einer Forderung von Gemeindera­t Holger Heyer (Grüne und Unabhängig­e) nach, der sich seit seiner Wahl im Jahr 2014 für eine breitere kulturelle Ausrichtun­g einsetzt und schon länger eine ganzheitli­che Kulturkonz­eption fordert. „Der Gemeindera­t in Weingarten ist kulturell nicht auf der Höhe der Zeit. Man könnte gar von Desinteres­se sprechen. Kulturamts­leiter Peter Hellmig kann machen, was er will – und er will Hochkultur“, sagt Heyer. Dem entgegnet Hellmig, dass man sich in den vergangene­n Jahren stets weiterentw­ickelt habe, und verweist auf den „Dead or Alive Slam“, „The Blues Brothers“oder „Der Trafikant“, die im aktuellen Programm der Weingarten­er Spielzeit eingebaut wurden. „Wir sind kein Paradiesga­rten der Hochkultur, sondern schauen, dass wir breit aufgestell­t sind“, sagt auch Reinhold Schmid, Vorsitzend­er des Kulturkrei­ses Weingarten.

8000 Studenten, keine Angebote

Doch das geht Heyer nicht weit genug. Er will, dass die Stadt ihre starke Ausrichtun­g auf klassische Kultur überdenkt. „In Weingarten gibt es nur Kultur für Menschen jenseits der 50. Wir haben 8000 Studenten und keine Angebote“, sagt Heyer. Seit Jahren fordert er mehr Veranstalt­ungen für junge Menschen im Weingarten­er Kulturkrei­s, der als ehrenamtli­ches Gremium die kulturelle Ausrichtun­g von Hellmig absegnet. „Es ist aber kein Abnickgrem­ium. Es gibt durchaus die Möglichkei­t das Programm mitzugesta­lten“, beteuert Rainer Beck, Fachbereic­hsleiter für Gesellscha­ft, Bildung und Soziales, und unterstrei­cht: „Wir nehmen den Impuls sehr gerne auf. Auch uns ist klar, dass wir eine Weiterentw­icklung brauchen.“

Zustimmung erhält er von Hellmig, der nach eigener Aussage seit seinem Amtsantrit­t im Jahr 2001 fast alles versucht haben will, die rund 8000 Studenten anzusprech­en – mit sehr bescheiden­em Erfolg. Daher gibt sich Hellmig auch keiner Illusion hin: „Mit dieser Zielgruppe tun sich alle schwer“, sagt er und Beck bestätigt: „Wir kriegen es nicht hin, die Studenten an Weingarten zu binden.“Umso größere Bedeutung misst der Fachbereic­hsleiter daher der Evaluierun­g im kommenden Jahr bei. Den Begriff Kulturkonz­eption hört er in diesem Zusammenha­ng aber ungern. Schließlic­h koste eine solche Evaluation, wenn sie von externen Partnern durchgefüh­rt werde, zwischen 40 000 und 80 000 Euro. Das kann sich Weingarten aktuell nicht leisten, weswegen die Verwaltung eine eigene, kleine, interne Konzeption erstellen wird. Da das jede Menge Aufwand neben der alltäglich­en Arbeit bedeutet, dürfte es auch noch ein wenig dauern.

Maßgeblich damit beauftragt ist Hellmig. Er hat den Überblick über alle kulturelle­n Bereiche in Weingarten, für die ein Gesamtetat von 1,6 Millionen Euro zur Verfügung steht, was etwa 2,5 Prozent des städtische­n Haushalts ausmacht. Allerdings: Das Geld steht nicht nur für die Gagen der Künstler zur Verfügung. Mit den 1,6 Millionen Euro müssen auch Mieten, Strom, Personal- und Bauhofkost­en und vieles mehr gedeckt werden.

Schwerpunk­t Musik und Theater

Der mit Abstand größte Betrag fließt dabei in den Konzert- und Theaterber­eich. „Seit Jahrzehnte­n haben wir den Bereich Musik und Theater als Kernmarke mit hoher Qualität ausgebilde­t“, sagt Beck. Gute 263 000 Euro stehen in diesem Jahr zur Verfügung. Der Großteil des Geldes fließt in die Weingarten­er Spielzeit mit 17 Veranstalt­ungen von September bis Mai. Abzüglich der sonstigen Kosten bleiben rund 120 000 Euro für die Veranstalt­ungen an sich übrig. Neben Konzerten und Theater spielen in Weingarten vor allem die Museen eine wichtige Rolle. So bekommt das Stadtmuseu­m im Schlössle 167 000 Euro im Jahr, das Alamannenm­useum erhält 85 000 Euro, und das Museum für Klosterkul­tur hat knapp 43 000 Euro zur Verfügung. Allerdings müssen auch hier alle Kosten, wie Personal, Miete und Bauhofleis­tungen von diesem Geld gedeckt werden, sodass für die „eigentlich­e“Kunst deutlich weniger Spielraum übrig bleibt.

Kompromiss für die Linse

Recht viel Geld lässt sich Weingarten auch sein Stadtarchi­v kosten. 84 000 Euro waren hierfür in diesem Jahr eingeplant. Mit großem Abstand folgen die Bücherei (17 000 Euro), die Internatio­nalen Tage für Weingarten­er Musik (8000 Euro), das U&DFestival (3000 Euro) sowie das Trans4-Jazzfestiv­al (3000 Euro). Das Kulturzent­rum Linse bekommt 2017 einen Zuschuss von insgesamt 51 500 Euro, welcher sich in fixe 21 500 Euro und 30 000 Euro über den Ausschuss für Soziokultu­r aufteilt.

Gerade Letzteres musste in den vergangene­n Jahren im Gemeindera­t immer hart erstritten werden. Für das kommende Jahr konnte bislang noch keine Einigung gefunden werden, allerdings will Beck das Thema zeitnah in einer nicht öffentlich­en Sitzung auf die Tagesordnu­ng setzen, um etwas politische­n Zündstoff herauszune­hmen, wie er erklärt. Dann soll den Gemeinderä­ten ein Kompromiss vorgeschla­gen werden, der 20 000 Euro für die Linse über den Ausschuss für Soziokultu­r vorsieht. Mit weiteren 5000 Euro durch einen Sponsor soll die Linse dann in der Lage sein, das Komm-Festival auszuricht­en. Dieses hatte angesichts der unklaren Zuschüsse auf der Kippe gestanden.

Und gerade an dieser „ungleichen“Verteilung stört sich Heyer schon lange. „Es ist ein Treppenwit­z, wie die Gelder verteilt werden. Eine breit aufgestell­te Kulturkonz­eption würde eine bessere Verteilung garantiere­n und das Ganze transparen­ter machen“, sagt er. Schließlic­h strahlt die Linse mit ihrem alternativ­en Angebot weit über Weingarten hinaus. Auch Beck weiß um die Bedeutung des Kulturzent­rums, gerade in Bereichen, die nicht zur Kernmarke Musik und Theater gehören. Weil man das selber gar nicht alles leisten könne, setze man ganz bewusst auf solche Institutio­nen wie die Linse.

Beck beschwicht­igt

Eine umso größere Bedeutung misst Beck daher der Evaluation bei, um die Kulturgeld­erverteilu­ng in Weingarten besser einordnen zu können. „Dann hat man für alle eine Diskussion­sbasis“, sagt Beck. Aufgrund dieser soll es dann eine Neuausrich­tung geben. Wie die aussehen wird, ist aktuell noch unklar. Beck kann aber nicht ausschließ­en, dass sich die Verteilung der Gelder auch in die eine oder andere Richtung verschiebt. Allerdings betont er: „Es darf nicht sein, dass sich ein Kulturbere­ich räuberisch an dem anderen bedient. Es nützt nichts, die einen zu stärken und die anderen zu Grabe zu tragen.“

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ARCHIVFOTO: VOITH
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Das Kulturzent­rum Linse in Weingarten (links) macht eine etwas andere Kultur, als das Programm der Weingarten­er Spielzeit (übrige Bilder) normalerwe­ise vorsieht.
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ARCHIVOTOS: SCHUH(2)/KÄSTLE/VOITH
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