Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kulturförderung auf dem Prüfstand
Die Stadt Weingarten will eine Art Kulturkonzeption entwickeln.
WEINGARTEN - Es ist wohl in jeder Gemeinde ein immer wiederkehrendes Thema: die gerechte Verteilung von Gelder der Kulturförderung. Doch gerade in Weingarten birgt das Thema eine besondere Brisanz. Denn Weingarten muss an allen Ecken und Enden sparen.
Beinahe reflexartig richtet sich der Blick dabei zwangsläufig auf die Kultur. So sind den Sparmaßnahmen in Weingarten bereits die Klosterfestspiele zum Opfer gefallen. Der Ton beim Kampf um die verbleibenden Fördergelder zwischen den verschiedenen Kultursparten wird immer rauer. Nicht nur deshalb hat sich die Weingartener Stadtverwaltung nun entschieden, im kommenden Jahr den gesamten Kulturbereich auf den Prüfstand zu stellen, um mit den Ergebnissen die künftige Ausrichtung neu zu justieren.
Stadt kommt Forderung nach
Damit kommt die Stadt einer Forderung von Gemeinderat Holger Heyer (Grüne und Unabhängige) nach, der sich seit seiner Wahl im Jahr 2014 für eine breitere kulturelle Ausrichtung einsetzt und schon länger eine ganzheitliche Kulturkonzeption fordert. „Der Gemeinderat in Weingarten ist kulturell nicht auf der Höhe der Zeit. Man könnte gar von Desinteresse sprechen. Kulturamtsleiter Peter Hellmig kann machen, was er will – und er will Hochkultur“, sagt Heyer. Dem entgegnet Hellmig, dass man sich in den vergangenen Jahren stets weiterentwickelt habe, und verweist auf den „Dead or Alive Slam“, „The Blues Brothers“oder „Der Trafikant“, die im aktuellen Programm der Weingartener Spielzeit eingebaut wurden. „Wir sind kein Paradiesgarten der Hochkultur, sondern schauen, dass wir breit aufgestellt sind“, sagt auch Reinhold Schmid, Vorsitzender des Kulturkreises Weingarten.
8000 Studenten, keine Angebote
Doch das geht Heyer nicht weit genug. Er will, dass die Stadt ihre starke Ausrichtung auf klassische Kultur überdenkt. „In Weingarten gibt es nur Kultur für Menschen jenseits der 50. Wir haben 8000 Studenten und keine Angebote“, sagt Heyer. Seit Jahren fordert er mehr Veranstaltungen für junge Menschen im Weingartener Kulturkreis, der als ehrenamtliches Gremium die kulturelle Ausrichtung von Hellmig absegnet. „Es ist aber kein Abnickgremium. Es gibt durchaus die Möglichkeit das Programm mitzugestalten“, beteuert Rainer Beck, Fachbereichsleiter für Gesellschaft, Bildung und Soziales, und unterstreicht: „Wir nehmen den Impuls sehr gerne auf. Auch uns ist klar, dass wir eine Weiterentwicklung brauchen.“
Zustimmung erhält er von Hellmig, der nach eigener Aussage seit seinem Amtsantritt im Jahr 2001 fast alles versucht haben will, die rund 8000 Studenten anzusprechen – mit sehr bescheidenem Erfolg. Daher gibt sich Hellmig auch keiner Illusion hin: „Mit dieser Zielgruppe tun sich alle schwer“, sagt er und Beck bestätigt: „Wir kriegen es nicht hin, die Studenten an Weingarten zu binden.“Umso größere Bedeutung misst der Fachbereichsleiter daher der Evaluierung im kommenden Jahr bei. Den Begriff Kulturkonzeption hört er in diesem Zusammenhang aber ungern. Schließlich koste eine solche Evaluation, wenn sie von externen Partnern durchgeführt werde, zwischen 40 000 und 80 000 Euro. Das kann sich Weingarten aktuell nicht leisten, weswegen die Verwaltung eine eigene, kleine, interne Konzeption erstellen wird. Da das jede Menge Aufwand neben der alltäglichen Arbeit bedeutet, dürfte es auch noch ein wenig dauern.
Maßgeblich damit beauftragt ist Hellmig. Er hat den Überblick über alle kulturellen Bereiche in Weingarten, für die ein Gesamtetat von 1,6 Millionen Euro zur Verfügung steht, was etwa 2,5 Prozent des städtischen Haushalts ausmacht. Allerdings: Das Geld steht nicht nur für die Gagen der Künstler zur Verfügung. Mit den 1,6 Millionen Euro müssen auch Mieten, Strom, Personal- und Bauhofkosten und vieles mehr gedeckt werden.
Schwerpunkt Musik und Theater
Der mit Abstand größte Betrag fließt dabei in den Konzert- und Theaterbereich. „Seit Jahrzehnten haben wir den Bereich Musik und Theater als Kernmarke mit hoher Qualität ausgebildet“, sagt Beck. Gute 263 000 Euro stehen in diesem Jahr zur Verfügung. Der Großteil des Geldes fließt in die Weingartener Spielzeit mit 17 Veranstaltungen von September bis Mai. Abzüglich der sonstigen Kosten bleiben rund 120 000 Euro für die Veranstaltungen an sich übrig. Neben Konzerten und Theater spielen in Weingarten vor allem die Museen eine wichtige Rolle. So bekommt das Stadtmuseum im Schlössle 167 000 Euro im Jahr, das Alamannenmuseum erhält 85 000 Euro, und das Museum für Klosterkultur hat knapp 43 000 Euro zur Verfügung. Allerdings müssen auch hier alle Kosten, wie Personal, Miete und Bauhofleistungen von diesem Geld gedeckt werden, sodass für die „eigentliche“Kunst deutlich weniger Spielraum übrig bleibt.
Kompromiss für die Linse
Recht viel Geld lässt sich Weingarten auch sein Stadtarchiv kosten. 84 000 Euro waren hierfür in diesem Jahr eingeplant. Mit großem Abstand folgen die Bücherei (17 000 Euro), die Internationalen Tage für Weingartener Musik (8000 Euro), das U&DFestival (3000 Euro) sowie das Trans4-Jazzfestival (3000 Euro). Das Kulturzentrum Linse bekommt 2017 einen Zuschuss von insgesamt 51 500 Euro, welcher sich in fixe 21 500 Euro und 30 000 Euro über den Ausschuss für Soziokultur aufteilt.
Gerade Letzteres musste in den vergangenen Jahren im Gemeinderat immer hart erstritten werden. Für das kommende Jahr konnte bislang noch keine Einigung gefunden werden, allerdings will Beck das Thema zeitnah in einer nicht öffentlichen Sitzung auf die Tagesordnung setzen, um etwas politischen Zündstoff herauszunehmen, wie er erklärt. Dann soll den Gemeinderäten ein Kompromiss vorgeschlagen werden, der 20 000 Euro für die Linse über den Ausschuss für Soziokultur vorsieht. Mit weiteren 5000 Euro durch einen Sponsor soll die Linse dann in der Lage sein, das Komm-Festival auszurichten. Dieses hatte angesichts der unklaren Zuschüsse auf der Kippe gestanden.
Und gerade an dieser „ungleichen“Verteilung stört sich Heyer schon lange. „Es ist ein Treppenwitz, wie die Gelder verteilt werden. Eine breit aufgestellte Kulturkonzeption würde eine bessere Verteilung garantieren und das Ganze transparenter machen“, sagt er. Schließlich strahlt die Linse mit ihrem alternativen Angebot weit über Weingarten hinaus. Auch Beck weiß um die Bedeutung des Kulturzentrums, gerade in Bereichen, die nicht zur Kernmarke Musik und Theater gehören. Weil man das selber gar nicht alles leisten könne, setze man ganz bewusst auf solche Institutionen wie die Linse.
Beck beschwichtigt
Eine umso größere Bedeutung misst Beck daher der Evaluation bei, um die Kulturgelderverteilung in Weingarten besser einordnen zu können. „Dann hat man für alle eine Diskussionsbasis“, sagt Beck. Aufgrund dieser soll es dann eine Neuausrichtung geben. Wie die aussehen wird, ist aktuell noch unklar. Beck kann aber nicht ausschließen, dass sich die Verteilung der Gelder auch in die eine oder andere Richtung verschiebt. Allerdings betont er: „Es darf nicht sein, dass sich ein Kulturbereich räuberisch an dem anderen bedient. Es nützt nichts, die einen zu stärken und die anderen zu Grabe zu tragen.“