Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Vorlesen mit Feuer
Zum 6. Mal findet am Freitag an der Pädagogischen Hochschule Weingarten der Vorlesetag statt
WEINGARTEN - Die Zahlen lassen wenig Gutes ahnen: Gerade einmal acht Prozent aller Mädchen im Alter zwischen sechs und 13 Jahren gaben nach der Studie „Kindheit, Internet, Medien“(KIM) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (MPFS) aus dem Jahr 2016 an, ein Buch lesen sei ihre liebste Freizeitbeschäftigung. Bei Jungs im selben Alter sieht es sogar noch schlechter aus. Gerade einmal ein Prozent widmen sich in ihrer Freizeit dem Lesen.
Die Studie „Jugend, Information, Multi-Media“(JIM) des MPFS, ebenfalls von 2016, bringt Ähnliches zutage. JIM untersucht, zu welchem Medium 12- bis 19-Jährige greifen. Mit 46 Prozent liegt das Buch bei Mädchen auf dem zehnten Platz. Bei Jungs sind es 30 Prozent. Spitzenreiter bei beiden Geschlechtern ist das Handy mit 98 Prozent bei Mädchen und 95 Prozent bei Jungen.
Fazit: Das klassische Buch spielt in der Freizeit und als Medium nur noch eine untergeordnete Rolle. Wie kann man Kinder wieder dazu bringen mehr zu lesen? Laut IQB-Studie hat die Lesekompetenz der Grundschüler erheblich nachgelassen. Die Antwort darauf heißt: Vorlesen. Bereits zum sechsten Mal veranstalten die Pädagogische Hochschule Weingarten, das Regionale Bildungsbüro Ravensburg in Kooperation mit der Kinderstiftung Ravensburg und Ravensburger den „Vorlesetag“. Am 17. November heißt das Motto in diesem Jahr „Lebendiges Lesen“. Denn wer mit Leidenschaft und Feuer vorlesen kann, erreicht sein Publikum. Nicht nur Kinder. Eine AllensbachStudie aus dem Jahr 2007 hat die Wirkung mündlicher Kommunikation untersucht. Dabei fallen lediglich 20 Prozent auf Mimik und Stimme. Den Löwenanteil mit 60 Prozent hat die nonverbale Sprache inne. Also Mimik, Gestik und die Körpersprache. Auch der Literaturdidaktiker Gerhard Haas war davon überzeugt. Er sagte: „Ein Literaturlehrer muss brennen.“
Dementsprechend haben die Verantwortlichen den Lesetag 2017 ausgerichtet. Der bekannte Kinderbuchautor Manfred Mai liest mit seinem musikalischen Begleiter Martin Lenz vor. In den Workshops von Manfred Mai, Jutta Klawuhn und Alex Niess geht es um interaktives Lesen.
„Lebendiges Vorlesen fördert die Leselust“, sagt Jürgen Belgrad, Professor für Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten und Leiter des Forschungsprojekts „Leseförderung durch Vorlesen“. Die wiederum, so der Wissenschaftler, „erhöht auf Dauer die Lesemotivation und diese die Lesekompetenz. Jedoch lesen nur noch 28 Prozent aller Eltern ihren ein- bis dreijährigen Kindern vor wie die Vorlesestudie der „Stiftung Lesen“aus diesem Jahr zeigt. Bei Kindern unter einem Jahr sind es sogar 55 Prozent. Das Paradox: 71 Prozent der Eltern finden eine gut Lesefähigkeit sehr wichtig, und gar 91 Prozent schreiben dem Vorlesen eine große Bedeutung zu.
Zehn Minuten pro Tag reichen
oran das liegt, ist schwer zu sagen. Zeitmangel kann es eigentlich nicht sein, denn nur zehn Minuten pro Tag würden schon ausreichen. Dies zeigt auch Belgrads Projekt „Leseförderung durch Vorlesen“, das seit dem Jahr 2000 läuft. Lehrkräfte, die ihren Klassen drei- bis viermal pro Woche zehn Minuten vorlesen, steigern die Lesekompetenz ihrer Schüler um fast ein Schuljahr. Die Kinderstiftung Ravensburg hat seit 2012 ein ähnliches Projekt. Bei „Lesewelten“lesen 100 Ehrenamtliche in 62 Einrichtungen in 13 Gemeinden über 800 Kindern regelmäßig vor.
„Das Thema Vorlesen wird uns auch noch die nächsten Jahre weiter begleiten“, sagt Ludger Baum vom Regionalen Bildungsbüro Ravensburg. „Das Buch als Bildungsmacher muss wieder stärker werden.“