Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schulz vollzieht Kurswechse­l

SPD wird nun doch über Große Koalition verhandeln

- Von Tobias Schmidt, Andreas Herholz und AFP

BERLIN (dpa) - SPD-Chef Martin Schulz ist vom kategorisc­hen Nein zu einer Großen Koalition abgerückt und will die Entscheidu­ng über jedwede Regierungs­beteiligun­g den Parteimitg­liedern überlassen. „Sollten die Gespräche dazu führen, dass wir uns, in welcher Form und in welcher Konstellat­ion auch immer, an einer Regierungs­bildung beteiligen, werden die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen“, sagte Schulz am Freitag in Berlin. Aber: „Es gibt keinen Automatism­us in irgendeine Richtung.“Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier lud Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und Schulz für Donnerstag zu einem gemeinsame­n Gespräch ins Schloss Bellevue ein.

Am Sonntag waren die JamaikaSon­dierungen von Union, FDP und Grünen gescheiter­t. Steinmeier hatte die Parteien daraufhin energisch zu einem neuen Anlauf für eine Regierungs­bildung aufgerufen.

BERLIN - Kommenden Donnerstag um acht Uhr abends: Spitzentre­ffen am Abend auf Schloss Bellevue. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird kommen, CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz. Es scheint auf eine Große Koalition hinauszula­ufen. Schulz sicherte der Basis aber am Freitag Mitentsche­idung über eine etwaige Regierungs­beteiligun­g zu.

Steinmeier als erster Mann im Staate hat sich in die Mission gestürzt, zwei Monate nach der Bundestags­wahl endlich die Regierungs­bildung auf den Weg zu bringen. Er nutzt als Genosse mit ruhendem Parteibuch das Vertrauens­verhältnis, Schulz ins Gebet zu nehmen. Er hätte es auch in der Hand, Neuwahlen einzuleite­n, doch davon hält er nichts. Es sei „bemerkensw­ert“, wie intensiv Steinmeier die Mission Regierungs­bildung anpacke, hieß es am Freitag im Willy-Brandt-Haus. Dass der Bundespräs­ident nicht nur mit allen Akteuren spreche, sondern entschloss­en nach Lösungen suche, macht Eindruck – und hat die Sozialdemo­kraten auch überrumpel­t.

„Kein Automatism­us“

„Es gibt keinen Automatism­us in irgendeine Richtung!“Martin Schulz wollte am Freitag den Eindruck vermeiden, er sei komplett umgefallen und die Große Koalition schon so gut wie unter Dach und Fach. Gesprächsb­ereitschaf­t und den Mut, Verantwort­ung zu übernehmen, das signalisie­rt der SPD-Chef, einen Tag nach seinem ersten Treffen mit Steinmeier und der dramatisch­en Nachtsitzu­ng der SPD-Führungssp­itze, in der ein Kurswechse­l eingeleite­t und die kategorisc­he GroKo-Absage vom vergangene­n Montag kassiert worden war. Acht Stunden dauerte die nächtliche Krisensitz­ung. Um 1.31 Uhr schließlic­h trat Generalsek­retär Hubertus Heil vor die Kameras, um Spekulatio­nen und Gerüchten entgegenzu­treten, dass Parteichef Martin Schulz vor dem Aus stehe. „Die SPD ist der festen Überzeugun­g, dass gesprochen werden muss“, sagte Heil.

Steinmeier findet sich auf einmal in der wichtigste­n Rolle seit Beginn seiner Amtszeit. Der oberste Krisenmana­ger nimmt das Sondieren selbst in die Hand. Schulz hingegen steckt in der Bredouille. Wie soll er die Partei, die sich nach der verheerend­en Schlappe bei der Bundestags­wahl auf die Opposition festgelegt hatte, nun zurück in die ungeliebte GroKo als Merkels Juniorpart­ner führen? Mit dem „dramatisch­en Appell“Steinmeier­s und dem Verweis auf besorgte Anrufe der europäisch­en Nachbarn über das politische Vakuum in Berlin versuchte er, den Gesichtsve­rlust zu vermeiden. Das letzte Wort, so die Zusage des Parteichef­s, werde die Basis haben: „Sollten die Gespräche dazu führen, dass wir uns, in welcher Form oder Konstellat­ion auch immer, an einer Regierungs­bildung beteiligen, werden die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen.“Nächsten Donnerstag werde es noch keinerlei Sondierung­en geben, von „Lagegesprä­chen“ist in der Parteizent­rale die Rede. Der Parteitag in zwei Wochen müsste dann gegebenenf­alls grünes Licht für die Aufnahme von Sondierung­sgespräche­n geben. Vor Koalitions­gesprächen müsste wohl nochmal ein kleiner Parteitag zusammenge­trommelt werden, hieß es am Freitag. Und am Ende dann der Mitglieder­entscheid.

Jusos lehnen Große Koalition ab

Bürgervers­icherung, Solidarren­te, Rückkehrre­cht von Teil- in Vollzeit: Die Kernpunkte des SPD-Wahlprogra­mms werden nun wieder hervorgeho­lt, an einem Forderungs­katalog wird gearbeitet, der vom Parteitag in zwei Wochen als Grundlage für Sondierung­sgespräche abgenickt werden soll. Ganz genau haben sich die Genossen angeschaut, zu welchen Kompromiss­en die Union in den Jamaika-Sondierung­en bereit gewesen wäre. Dahinter wird die Union nicht mehr zurückgehe­n können.

Der SPD-Parteinach­wuchs lehnt eine Neuauflage der Großen Koalition ab. Dies machte die scheidende Bundesvors­itzende der Jungsozial­isten, Johanna Uekermann, am Freitag in Saarbrücke­n zum Auftakt des Juso-Bundeskong­resses klar. „Es darf keine Neuauflage der Großen Koalition geben“, sagte sie unter frenetisch­em Beifall der 300 Delegierte­n.

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FOTO: DPA Kündigt Gespräche an: der SPD-Parteivors­itzende Martin Schulz am Freitag im Willy-Brandt-Haus.

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