Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Im Club der toten Dichter
Wehwalt Koslovsky bringt die Texte von verstorbenen Dichtern auf die Bühne
WEINGARTEN - Poetry-Slam-Legende Wehwalt Koslovsky ist am Freitagabend mit seinem Soloprogramm „Wehwalt in der Unterwelt“im Kulturzentrum Linse in Weingarten aufgetreten. Dabei trug er ausgewählte Texte von Dichtern aus vergangenen Jahrhunderten vor.
Koslovsky bedauert, dass er seine eigenen Texte ja alle schon verbraten habe und begrüßt deshalb zu einer „Entdeckungsreise durch 150 Jahre deutscher Literaturgeschichte“. Dabei drehe es sich um die Zeit zwischen Mitte des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts. Es würden Themen wie Karma, Recht und Unrecht, Legalität und Legitimität aufgegriffen werden. „Es wird viel gestorben, geweint und geblutet“, meint der Balladendichter.
Kindsmord ist gleich zweimal Thema
Das erste Gedicht „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“von Gottfried August Bürger greift das Thema Kindesmord auf. Koslovsky meint: „Ich habe den Text meiner 15-jährigen Tochter zu lesen gegeben und sie fand ihn echt krass.“Das metaphorische Gedicht erzählt von Verführung und anschließender Schwangerschaft des Mädchens. Daraufhin folgen Stigmatisierung und körperliche Gewalt im Elternhaus. Aus Verzweiflung tötet die Pfarrerstochter ihr Neugeborenes.
Auch der Autor des zweiten Textes, Friedrich Schiller, hatte einen Text über Kindesmord verfasst. Dieser wurde jedoch nicht vorgetragen, stattdessen aber Koslovskys Lieblingsballade „Die Kraniche des Ibykus“. Laut Legende wurde der antike Dichter Ibykus urplötzlich von zweien getötet. Schiller richtet die Mörder in seiner Ballade und lässt sie für ihre Tat bestrafen. So endet der Text auch mit den Worten: „Und es gestehn die Bösewichter, getroffen von der Rache Strahl.“ TRAUERANZEIGEN
Nach der Pause holt Koslovsky mit der regional ansässigen Annette von Droste-Hülshoff die erste und einzige Frau des Abends auf die Bühne. Koslovsky beschreibt, dass man in ihrem Gedicht schon eine sprachliche und stilistische Veränderung in Richtung der Neuzeit bemerken kann. In „Die Vergeltung“erzählt Droste-Hülshoff von zwei Schiffbrüchigen. Der eine ertränkt den anderen, da nur ein einziger Balken vorhanden ist, an dem sich einer der beiden festhalten kann. Der Überlebende wird gerettet und an Land ausgesetzt. Dort erhängt man ihn an den Brettern des Schiffes, mit dem er einst auf See war.
„Ein semichristliches Thema“werde laut Koslovsky in August Stöbers „Bischof Kletus“angesprochen. Papst Anaklet richtet über den damaligen Kaiser Domizian. Es wird indirekt die Frage nach der Bedeutung von weltlichen Schätzen in den Raum geworfen.
Auch Domizian muss sterben und sitzt am Ende des Textes ohne genannten Grund tot in seinem Thron. Wehwalt Koslovsky versteht es, emotionale und situative Bedingungen durch Stimmvariationen zu vermitteln. Seine aufwendigen Recherchearbeiten und sein enormes Wissen über die Dichter haben dem Publikum Hintergrundwissen zum jeweiligen Text geliefert.
Als Abschluss des Abends wählt Koslovsky den Text eines Dichters, den er sehr gut kenne: Wehwalt Koslovsky. Seine Metaballade trägt den Titel „Dubito ergo sum - Ich reime also bin ich“. In einem fiktiven Gespräch mit einem Feind der Poesie erklärt das lyrische Ich, warum es so gerne reimt. Koslovskys Begeisterung für das Reimen wird spürbar. Er schließt mit der Aussage: „Der Welten Anfang war das Wort, so steht’s im Buch der Bücher schon. Und blüht am End‘ der Freiheit Glück, dann ward die Tat des Wortes Lohn.“