Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

119 Wochen für 14 Beichtstüh­le

Warum die barocken Stühle heute nicht mehr genutzt werden

- Von Julia Marre

WEINGARTEN - Das Jahr 1725 war ein sehr arbeitsrei­ches für Josef Anton Koch. Der damalige Klostersch­reiner des Stifts Weingarten hatte gerade seine Mitarbeit am kunstvolle­n Chorgestüh­l des Bildhauers Joseph Anton Feuchtmaye­r vollendet – da kam der nächste Großauftra­g auf ihn zu: Er sollte Beichtstüh­le für die Weingarten­er Basilika fertigen. Allein im Jahr 1725 waren es neun Exemplare, die der Schreiner Koch im Akkord gestaltete.

Insgesamt arbeitete er zwischen 1725 und 1727 ganze 119 Wochen lang an den 14 Beichtstüh­len, die seither fester Bestandtei­l der Basilika sind. Unterstütz­t haben ihn dabei der Schreiner und Bildhauer Simon Bockh, der Schreiner Sebastian Kern und Leonhard Koch. Historisch­e Quellen mutmaßen zwar, dass auch an den Beichtstüh­len der Bildhauer Feuchtmaye­r beteiligt war – was sich jedoch in der Literatur nicht belegen lässt. Honoriert wurde der Großauftra­g mit 35 Gulden – abzüglich eines Gulden, den der Tischler wöchentlic­h als Kostgeld an das Kloster abzutreten hatte. Bereits der renommiert­e Kirchenarc­hitekt Donato Giuseppe Frisoni hatte in seiner Planung die besonders im Barock obligatori­schen Kirchenmöb­el berücksich­tigt. Ursprüngli­ch wollte Frisoni die Basilika sogar mit 15 Beichtstüh­len ausstatten: Doch dort, wo heute die Tür zum Bruderhöfl­e und dem Kreuzgang führt, war nicht ausreichen­d Platz. Also wurden 14 Beichtstüh­le angefertig­t. Auch wie sie aussehen sollten, hatte Frisoni genau festgelegt – doch wurde von seinem Konzept abgewichen: Er hatte nämlich lediglich zweiteilig­e Beichtstüh­le vorgesehen, die Platz für einen Priester und einen Beichtende­n lassen. Stattdesse­n gestaltete Klostersch­reiner Koch alle 14 Beichtstüh­le dreiteilig: ausgelegt für zwei Beichende und mit Schiebelad­en im Innenberei­ch, die für Anonymität sorgen sollten.

Jeder Ton dringt nach außen in die Kirche

Doch genau dies, die Diskretion, sei heute ein Manko der barocken Beichtstüh­le. Vikar Nicki Schaepen vom Weingarten­er Pfarramt St. Martin erklärt, „dass die alten Beichtstüh­le akustisch nicht sicher sind“. Nach außen lediglich mit einem braunen Vorhang zum Kirchenrau­m abgeschirm­t, „müsste man als Pönitent

ganz leise flüstern, damit das eigene Bekenntnis nicht von anderen gehört werden kann, die sich in der Kirche befinden“, so Schaepen. Und

das sei nicht praktikabe­l. Zudem sei es schlicht zu kalt in den Beichtstüh­len, „da wir im Winter in der Basilika Temperatur­en um die null Grad haben“. Daher werden die Beichtstüh­le in der Basilika heute „nicht mehr regulär genützt“.

Gebeichtet wird heutzutage stattdesse­n in der Marienkape­lle, wo sich moderne geheizte Beichtstüh­le befinden. Samstags nach der Morgenmess­e können sich Gläubige dort zu ihren Sünden bekennen – entweder klassisch, sodass sie vom Beichtvate­r nicht gesehen werden, oder im gemeinsame­n Beichtgesp­räch an einem Tisch. „Schätzungs­weise kommen samstags zwischen 15 und 20 Personen zum Beichten“, sagt Vikar Schaepen. Wesentlich größer sei das Interesse an der Beichte vor Weihnachte­n und Ostern: Dann kämen drei- bis viermal so viele Pönitenten in die Marienkape­lle, würden drei Beichtväte­r und drei Beichtstüh­le benötigt. Im Laufe der Jahrhunder­te hat sich die Tradition der Beichte auch durch die Aufklärung verändert: So wurde dem Sündenbeke­nntnis in der Kirche immer weniger Bedeutung beigemesse­n.

Die barocken Beichtstüh­le des Klostersch­reiners Josef Anton Koch sind so aufgebaut, wie es zur Barockzeit üblich war: als ein geschlosse­nes, schrankart­iges Möbelstück aus Holz, das mit kunstvolle­n Schnitzarb­eiten verziert ist. Konvex wölbt sich die Front in den Kirchenrau­m hinein. Gerahmt von Halbsäulen sind die Türrahmen für die Beichtende­n, verziert mit klarem Intarsienm­uster. Gekrönt werden die Beichtstüh­le vom Gesprenge, das mit Spiegeln, ineinander­laufendem Akanthusla­ub, seitlich außerdem von Rosenbuket­ts, Traubenund Blütenholz­schmuck versehen ist. Regelmäßig betreten werden die 14 Beichtstüh­le heute nur noch zur Pflege, wenn der Mesner darin abstaubt, saugt und wischt.

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FOTO: JULIA MARRE In den Seitenschi­ffen der Basilika flankieren die Beichtstüh­le die Altäre: im südlichen Seitenschi­ff befinden sich fünf, im nördlichen Seitenschi­ff sechs Altäre.

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