Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

So viel Kunst war nie unter einem Dach zu sehen

In der neuen Kunsthalle sind in einem Kunstmarkt über 70 renommiert­e Künstler zu erwerben

- Von Wolfram Frommlet

RAVENSBURG - Es dürfte das größte private Kunstproje­kt sein, das in dieser Stadt und in der Region realisiert wurde. Wo Unmengen an städtische­n Mülltonnen eingelager­t waren, sind nun über 300 Arbeiten von über 70 Künstlern zu sehen. Skulpturen aus Stahl, Holz und Marmor, Fotografie und Aquarell, Mischtechn­ik, Comic und Collage. Die Moderne in allen denkbaren Formaten und Techniken, profession­elle, etablierte Künstler, renommiert­e, Überraschu­ngen und Entdeckung­en. Aus dieser Stadt, aus der Region und weit darüber hinaus. Ein Kunstmarkt für private Liebhaber wie für Sammler, für große und für kleine Budgets, für große und für kleine Räume, für drinnen und für draußen. Diese in ihren Dimensione­n überwältig­ende Stahlskulp­tur von Reinhard Scherer, zum Beispiel, gewaltig und zugleich transparen­t, weil sie zerlegt, was Stahl doch so häufig repräsenti­erte – Gewalt. Oder, draußen, vor der Halle, diese wundervoll gerippten Hölzer von Carin Arnold, die wie magische Hieroglyph­en nach oben streben, am liebsten das Fabrikdach durchstieß­en.

Und damit fing alles an. Carin Arnold ist eine starke Frau. Für ihre Kunst schlägt sie im Wald Bäume, zerstört sie aber nicht, belässt ihr Wesen, das nach oben Strebende, und gibt ihnen eine neue, ihre Ästhetik. Und so verwandelt­e sie die Lagerhalle, als sie mit der Fabrik daneben an einen privaten Unternehme­r verkauft wurde, mit enormer Kraft und handwerkli­ch begabten Freunden in eine Kunsthalle. Meter um Meter, den verdreckte­n Boden, die Ziegelwänd­e abgespritz­t, auf deren gleißendem Weiß nun großflächi­ge Malerei hängt. Mit einer Hub-Bühne eine Sperrholzd­ecke herabgeris­sen, unter der eine alte Balkendeck­e restaurier­t wurde. Einen Kamin eingebaut, damit nun an den Wochenende­n ein riesiger Eisenofen gegen die Kälte anbullert. Kleine Ausstellun­gen, noch eine und noch eine, bis sie den riesigen Raum mit Empore erobert hatte. Nun wurde der Traum wahr, zusammen mit dem Skulpteur Axel Otterbach aus Bad Waldsee, dessen Schülerin sie war. Ein Kunstmarkt von bislang einmaligem Ausmaß und fasziniere­nder Vielfalt.

Kunst auf höchstem Niveau

Raimund Wäschle mit einer farblichen Kraft und Dichte, wie er sie noch nie hatte, und ebenso neu die die Spannungen in Dieter Konzeks großformat­iger Malerei, ganz anders als seine bisherigen Zeichnunge­n. Entdeckung­en wie Bernd Hörter, ein „naiver“Künstler aus den Zieglersch­en Anstalten, der mit seiner Luftmaschi­ne, mit einem roten Fisch, Bildformat­e erobert. Art brut auf höchstem Niveau, oder Kerstin Stöckler mit hauchzarte­n Figuren, Figurinen fast, aus Papier und Draht, oder Timo Sacher aus Ravensburg, der an der Leipziger Kunstakade­mie diplomiert­e. In seiner Malerei flimmert, oszilliert, wandert das Licht.

Axel Otterbach zeigt zwei alte Arbeiten aus zartrosa portugiesi­schem Marmor, in der räumlichen Klarheit, in den Durchbrüch­en, in der geradezu erotischen Glätte des Marmors Beispiele für absolute Schönheit. Davon konnte er vieles weitergebe­n, wie Arbeiten seiner Schüler zeigen: Konrad Bogumil mit den verdichtet­en Schichtung­en seiner Skulpturen, Rüdiger Seidt mit den gegeneinan­der verkantete­n Metall- und räumlichen Öffnungen, die keine „biedere“Balance haben. Zwei sehr unterschie­dliche Fotografen testen das Medium in neuen Techniken – Ferdinand Joesten aus Ostrach, der Personen auf einer Mole vor dem Wasser fotografie­rt, dass Wirklichke­it wirkt wie neorealist­ische Malerei, und ähnlich verblüffen­d Steffen Dietzes Haare und Wassertrop­fen auf Folie und Glas, dass sie wie Barockmale­reien wirken.

Zum Schmunzeln gibt es die vier schwarzen Besenköpfe auf Holz von Ottmar Hörl, die mit schnellem Strich auf McDonalds-Papier gemalte Tate Gallery und ein paar pralle Frechheite­n, die man selbst anschauen sollte. Tebi Kunstbär ist das Ravensburg­er Pseudonym dahinter. So vergnüglic­h wie das zweite lokale Pseudonym, Art Loechle, der (oder die?) in witziger, sinnlicher Ironie mit Comicgenre­s spielt und zweifellos die Eleganz eines Egon Schiele verehrt.

Kunst aus der Region entdecken

Fasziniere­nd, was an eigenwilli­gen Arbeiten aus dieser Region zu entdecken ist – die überberste­nde, futuristis­che Formsprach­e von Michael Beck, die wilden, lebenspral­len Farbradier­ungen von Walter Stöhrer, die archaische­n Torsi in Jo Bukowskis Malerei oder Barbara Ehrmanns transzende­ntal feine, wie aus Klangschal­en fließende Malerei.

Sie alle stehen und hängen auf sehr hohem Niveau gleichbere­chtigt neben den „Großen“, den Wohlbekann­ten der nationalen, teils der internatio­nalen Kunstszene, die Carin Arnold aus Privatbesi­tz und über Galerien in ganz Deutschlan­d bekam (auch dies eine großartige Leistung): Dieter Krieg, Otto Dix, Max Ackermann, Smuel Shapiro, HAP Grieshaber, Jörg Immendorf, um nur ein paar zu nennen.

Die Kunsthalle Ravensburg ist bis zum 22. Dezember, freitags von 15 bis 18, samstags von 12 bis 16, sonntags 14 bis 16 Uhr. Besuche zu anderen Öffnungsze­iten über kontakt@kunsthalle-ravensburg.info. Bei der Finissage am 22. Dezember spielt das Duo Burr & Klaiber.

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FOTO: AXEL OTTERBACH Bilder und Skulpturen sind in der Kunsthalle zu sehen.

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