Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zoff um Baurecht geht weiter
Fraktion fühlt sich von CDU-Ministerium nicht ausreichend informiert
STUTTGART (tja) - In der Debatte über einfachere Regeln für Neubauten fühlen sich die Grünen zu Unrecht als Bremser dargestellt. „Wir machen Vorschläge, uns fehlen aber Antworten aus dem Wirtschaftsministerium“, sagt die grüne Landtagsabgeordnete Susanne Bay. Die Grünen wollen weiterhin Fahrradstellplätze und Fassadengrün in Städten zur Pflicht machen, plädieren aber dafür, geltende Ausnahmeregeln öfter zu nutzen. Die CDU hält die Vorgaben für überflüssig.
STUTTGART - Begrünte Fassaden, überdachte Stellplätze für Fahrräder: Diese Auflagen für Neubauten sind Symbole für vermeintlich überbordende Bürokratie, die das Bauen beschwerlich und teuer macht. Die CDU sähe diese Vorschriften am liebsten gekippt. Die Grünen, auf deren Bestreben die Vorgaben zurückgehen, wehren sich. Sie werfen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut vor, in den Verhandlungen über die Landesbauordnung (LBO) zu wenige verlässliche Informationen zu liefern. „Wir sind nicht die Bremser“, sagte Susanne Bay (Grüne) der „Schwäbischen Zeitung“.
Mit ihrem damalige Koalitionspartner SPD hatten die Grünen die LBO 2015 geändert. In den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen setzte die CDU deshalb 2016 durch, die LBO noch einmal zu überprüfen. Die Ziele: Die Kosten zu senken und dadurch das Bauen zu erleichtern. Der Druck steigt, bei dem Thema voranzukommen. Denn in BadenWürttemberg fehlen laut einer aktuellen Prognos-Studie 88 000 Wohnungen.
Ministerin für Bürokratieabbau
Ministerin Hoffmeister-Kraut hatte kurz nach ihrem Amtsantritt die Wohnraumallianz gegründet. Darin sitzen Wirtschaft, Gewerkschaften, Naturschützer und Kommunen. Sie wollen gemeinsam Lösungen finden, damit rasch mehr bezahlbare Wohnungen entstehen. Doch beim umstrittenen Thema LBO kam es direkt am Anfang zu Verwerfungen. Die Beteiligten formulierten zwar Empfehlungen, aber nicht einstimmig. Dennoch wurden diese veröffentlicht. Darunter auch die Abschaffung der Pflicht zum Fahrradstellplatz und zur Fassadenbegrünung. Auch die Anforderungen zur Barrierefreiheit sollten gesenkt werden. Die Wirtschaftsministerin ist eine Freundin der Empfehlungen. Man messe den Ergebnissen der Allianz hohe Bedeutung bei, so ein Sprecher.
„Nicht alles schleifen“
„Wir werden es bereuen, wenn wir jetzt alles schleifen“, warnt die Grüne Bay. „Natürlich müssen wir rasches Bauen ermöglichen. Aber wenn wir heute Dinge weglassen, die man später mühselig nachbessert, wird das teuer.“Beispiel Barrierefreiheit: Es gebe mehr Senioren, durch neue Teilhabegesetze würden viele behinderte Menschen in eigene Wohnungen ziehen. Und schon jetzt fehlen im Land laut der Prognos-Studie rund 220 000 Wohnungen für behinderte Menschen.
Seit 2015 muss in Neubauten mit mehr als zwei Wohnungen ein Geschoss für Behinderte nicht nur gut zu erreichen sein. Vielmehr müssen die Wohnungen dieser Etage auch nutzbar sein. Nur so macht man mit Barrierefreiheit Ernst, meinen die Grünen. Sonst könne ein Rollstuhlfahrer mit dem Aufzug vor die Wohnungstür gelangen, komme aber wegen zu schmaler Türen nicht ins Bad.
„Es gibt bei Fahrradstellplätzen, Begrünung und der Barrierefreiheit Ausnahmeregelungen“, betont Bay. Sei ein Bauvorhaben aufgrund dieser Vorgaben unwirtschaftlich, könne es davon befreit werden. Die größten Kostentreiber beim Bau seien ohnehin andere Faktoren: Die Nachfrage führe zu hohen Preisen, die strengen DIN-Normen täten ihr übriges.
Die Grünen halten die Debatte für zu stark verkürzt. „Wir brauchen ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept für Bauen und Wohnen“, so Bay. Wohin mit E-Bikes, die immer mehr Menschen nutzen? Welche Vorkehrungen müssen Bauherren treffen, damit Bewohner E-Autos auftanken können? Was muss geschehen, um webgestützte Dienste der Zukunft wie etwa Notrufsystem zu nutzen? „Wir haben Vorschläge zu all solchen Fragen. Derzeit fehlen uns aber Daten und Antworten aus dem Wirtschaftsministerium, um weiter zu kommen“, bemängelt Bay. Aus dem Ministerium heißt es, die Gespräche liefen gut und konstruktiv.
Auch zum Bürokratieabbau haben die Grünen Ideen. Unterlagen zu einem Antrag nachzureichen, soll leichter werden, als Anlaufstelle genüge ein Amt – bisher reichen Bauherren Anträge bei Gemeinden ein, die die Unterlagen zum Teil an zuständige Behörden weiterleiten. Bay will den Blick auf Regeln werfen, die die Umsetzung der LBO vorgeben. Hier müsse man flexibler werden und Kommunen anhalten, angemessene Ausnahmen zuzulassen.