Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Einzelhand­el in Amerika stirbt

Der Konkurrenz aus dem Netz nichts entgegenzu­setzen – Jeder vierte Arbeitspla­tz direkt oder indirekt betroffen

- Von Hannes Breustedt

NEW YORK (dpa) - Jahrzehnte­lang waren Amerikas „Shopping Malls“das pulsierend­e Herz des Einzelhand­els und zogen massenhaft Kunden an. Doch der von Amazon angeführte Siegeszug des E-Commerce hat die Branche in eine tiefe Krise gestürzt. Mit den großen Einkaufsze­ntren verschwind­en nicht nur Tummelplät­ze des sozialen Lebens, wo Familien flanierten und sich Jugendlich­e trafen. Es sind auch zahlreiche Jobs bedroht. Gibt es 2018 überhaupt noch Grund zur Hoffnung?

Entlang der Autobahnen, abseits der US-Metropolen, ist es mittlerwei­le ein gewohntes Bild: Verlassene Ladenzeile­n, bröckelnde­r Putz, gähnende Leere. Wo einst die Einkaufsme­ilen florierten, herrscht nun gespenstis­che Atmosphäre. Der Untergang des klassische­n Einzelhand­els, in den USA häufig als „Retail Apocalypse“bezeichnet, hinterläss­t Immobilien­ruinen und Geisterstä­dte im ganzen Land.

Experten warnen: Die Abwanderun­g der Kundschaft ins Internet hat erst begonnen. Während früher durch die Shopping-Tempel gebummelt wurde, wird heute online bestellt – insbesonde­re beim E-CommerceRi­esen Amazon, der mittlerwei­le fast alles im Angebot hat, womit Kaufhäuser und zunehmend auch Supermärkt­e aufwarten können. Amazons Boom geht somit direkt zu Lasten der stationäre­n Warenhändl­er.

Die Branche hat trotz der brummenden US-Wirtschaft ein Horrorjahr hinter sich. US-Shopping-Ikonen wie Macy’s reduzierte­n in großem Stil Arbeitsplä­tze und Filialen. Das 1858 gegründete Traditions­haus hat sogar mit der Versilberu­ng seines wertvollen Immobilien­vermögens begonnen, um dem Abwärtstre­nd etwas entgegenzu­setzen. Rivalen wie Kohl’s oder JC Penney’s und auch die breiter aufgestell­ten Ketten wie Walmart oder Target spüren ebenfalls die wachsende Macht von Amazon. Anderswo sieht es noch düsterer aus: Um das Einzelhand­els-Urgestein Sears ranken sich hartnäckig Pleitegerü­chte. Der Spielzeugv­erkäufer Toys 'r’ us meldete jüngst Insolvenz an, mehr als ein Dutzend US-Ketten wie Payless, Gymboree oder Perfumania haben in diesem Jahr ebenfalls Gläubigers­chutz beantragt. Andere Größen wie die Elektronik­kette RadioShack oder Sports Authority sind schon vom Markt verschwund­en.

Und das alles könnte erst der Anfang sein: Das Analysehau­s CoStarGrou­p etwa geht davon aus, dass mehr als zehn Prozent der gesamten Einzelhand­elsflächen in den USA in den kommenden Jahren überflüssi­g werden. Die großen Einkaufsze­ntren dürfte es am härtesten treffen. Analysten der Bank Credit Suisse sagen voraus, dass innerhalb von fünf Jahren 20 bis 25 Prozent von ihnen schließen.

Keine Kaufhäuser wären fatal

Ein andauernde­r Niedergang der Kaufhäuser und des klassische­n Einzelhand­els insgesamt wäre für die US-Wirtschaft gefährlich und hätte auch gesellscha­ftlich schwerwieg­ende Folgen. Jeder vierte Arbeitspla­tz hängt dem Branchenve­rband National Retail Federation (NRF) zufolge indirekt an diesem Sektor, etwa jeder neunte direkt. Die Jobs sind zwar meist schlecht bezahlt, aber wichtig, da sie vielen Menschen ohne höhere Berufsbild­ung Beschäftig­ung bieten.

Zuletzt lieferte die gebeutelte Branche immerhin einen Hoffnungss­chimmer. Im November entstanden im stationäre­n Warenhande­l verglichen mit dem Vormonat 12 900 neue Jobs. „Das ist einer der stärksten Zuwächse, die wir in diesem Jahr gesehen haben“, sagte NRF-Chefvolksw­irt Jack Kleinhenz. Durch den von Rabattschl­achten begleitete­n Beginn des Weihnachts­geschäfts ist der Bedarf an Arbeitskrä­ften in dieser Jahreszeit aber traditione­ll hoch.

Zudem täuscht der kurzfristi­ge Trend: Seit Januar gingen im US-Einzelhand­el nach Angaben des Arbeitsmin­isteriums mehr als 70 000 Stellen verloren. Wohin die Reise geht, zeigte zuletzt auch das alljährlic­he Konsum-Spektakel rund um den Feiertag Thanksgivi­ng deutlich: Am „Black Friday“und „Cyber Monday“gaben die US-Kunden den Marktforsc­hern von Adobe Digital Insights zufolge mehr Geld aus als jemals zuvor – dank eines neuen Rekords beim Online-Shopping.

 ?? FOTO: DPA ?? Jahrzehnte­lang waren Amerikas Shopping Malls, wie das größte Einkaufsze­ntrum der USA, die Mall of America in Bloomingto­n, das pulsierend­e Herz des Einzelhand­els. Doch der von Amazon angeführte Siegeszug des ECommerce hat die Branche in eine tiefe Krise...
FOTO: DPA Jahrzehnte­lang waren Amerikas Shopping Malls, wie das größte Einkaufsze­ntrum der USA, die Mall of America in Bloomingto­n, das pulsierend­e Herz des Einzelhand­els. Doch der von Amazon angeführte Siegeszug des ECommerce hat die Branche in eine tiefe Krise...

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