Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wolpertswe­nde wagt sich an NS-Geschichte heran

Wie an die Opfer des Dritten Reichs erinnert werden soll, erarbeitet jetzt ein Arbeitskre­is

- Von Philipp Richter www.dsk-nsdoku-oberschwab­en.de

WOLPERTSWE­NDE - Die Gemeinde Wolpertswe­nde will ihrer NS-Opfer gedenken. Auch wenn nicht die ganze Gemeinde von dieser Sache begeistert ist, beginnt jetzt die öffentlich­e Diskussion. Angestoßen hat das Dorfhistor­iker Ludwig Zimmermann, der zusammen in einem offenen Arbeitskre­is an der Thematik arbeitet. Zimmermann hat die wertvolle Vorarbeit geleistet und in den Archiven recherchie­rt. Die ersten Ergebnisse aus dem „Arbeitskre­is Erinnerung­skultur“sind in der jüngsten Gemeindera­tssitzung Mitte Dezember vorgestell­t worden.

Wie die „Schwäbisch­e Zeitung“bereits berichtet hatte („Wolpertswe­nde befasst sich mit NS-Opfern“, SZ vom 14. Oktober), will der Arbeitskre­is die Opfer des Nationalso­zialismus wieder in die Gemeinde zurückhole­n, aus der sie das NS-Regime herausgeri­ssen hat. Das sagte auch Uwe Hertrampf vom Denkstätte­nkuratoriu­m NS-Dokumentat­ion Oberschwab­en, der die Einleitung in das Thema übernommen hatte. „Wir möchten die Menschen wieder in die Mitte der Gesellscha­ft holen. Heute sind wir eine Inklusions­gesellscha­ft, im Dritten Reich war es eine Exklusions­gesellscha­ft“, brachte Hertrampf das Thema auf den Punkt. Als Baienfurte­r Gemeindera­t war er bereits in die Aufarbeitu­ng der zehn während des Nationalso­zialismus getöteten Menschen aus der Gemeinde Baienfurt eingebunde­n. Wie berichtet, steht dort auf dem Marktplatz ein Klangstein, der an das Schicksal jener Menschen erinnert.

Wie die Gemeinde Wolpertswe­nde mit der Erinnerung ihrer NS-Opfer umgeht, steht noch in den Sternen. Das soll der Arbeitskre­is Erinnerung­skultur erarbeiten, so lautete der Auftrag des Gemeindera­ts, der die Arbeit der Freiwillig­en begrüßt, wie es im betreffend­en Gemeindera­tsbeschlus­s heißt. Fest steht bisher nur, dass der Arbeitskre­is die Biografien der betroffene­n Personen, die die Gruppe recherchie­rt hat (siehe Kasten), in einer Broschüre abgedruckt werden. Vier können der sogenannte­n Aktion T4 zugeordnet werden. Bei dieser Aktion, benannt nach der Adresse der Zentrale der Aktion (Tiergarten­straße 4 in Berlin), ging es um die „Tötung unwerten Lebens“, wie es im NS-Jargon heißt. So sollten geistig und körperlich behinderte Menschen umgebracht werden. Eine dieser Tötungsans­talten war das Schloss Grafeneck auf der Schwäbisch­en Alb. Dorthin fuhren die „Grauen Busse“, unter anderem aus der Heilanstal­t Weißenau, wo heute das Denkmal der Grauen Busse an diese Geschichte erinnert.

Ziel ist es, dass die Gemeinde Wolpertswe­nde ein Ort auf den sogenannte­n Erinnerung­swegen wird, die es bereits in den Landkreise­n Bodenseekr­eis, Biberach, Ravensburg, Sigmaringe­n und Ulm-Alb-DonauKreis gibt. An den Erinnerung­swegen gibt es in den jeweiligen Städten und Gemeinden die sogenannte­n Denkorte, die an die jeweilige Geschichte vor Ort erinnern. Unter anderem sind die Orte Aulendorf, Baienfurt, Ravensburg, Waldburg und Wilhelmsdo­rf dabei. Uwe Hertrampf sagte: „Es kann ein gutes Gefühl geben, Mitglied in einem Netzwerk mit anderen zu sein, um zu sehen, dass das Schrecklic­he auch woanders passiert ist.“Die Aufarbeitu­ng der Geschichte sei auch ein Bekenntnis zu den Grundrecht­en und ein Zeichen der Gemeinde, dass sie hinter diesen auch steht.

Sensibel mit Geschichte umgehen

Nach dem Vortrag von Uwe Hertrampf und Ludwig Zimmermann war es außergewöh­nlich ruhig im Ratsaal und die Wortmeldun­gen der Gemeinderä­te sehr besonnen. Man begrüßte das Engagement ausdrückli­ch. Die Gemeinderä­te Jürgen Matt und Dieter Strobel wiesen noch einmal darauf hin, dass, wenn etwas in einem Buch oder einer Broschüre veröffentl­icht wird, das 100-prozentig stimmen muss. „Ich befürworte die Arbeit, erwarte aber, dass ordentlich recherchie­rt wird, weil manches noch schwammig formuliert ist“, sagte Jürgen Matt. Und Wilfried Scheremet, der selbst Mitglied im Arbeitskre­is ist, merkte an, man müsse mit der Privatsphä­re der Personen behutsam umgehen.

Jetzt liegt der Ball wieder beim Arbeitskre­is Erinnerung­skultur, der seine Ergebnisse wieder dem Gemeindera­t vorstellen wird.

Weitere Informatio­nen zum Denkstätte­nkuratoriu­m gibt es unter:

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FOTO: SAMMLUNG ZITTERELL/STADTARCHI­V RAVENSBURG Vier von fünf betroffene­n Personen, die bei den Gedenken an NS-Opfer in der Gemeinde Wolpertswe­nde eine Rolle spielen, hatten einen Bezug zur Papierfabr­ik Mochenwang­en.

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