Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wolpertswende wagt sich an NS-Geschichte heran
Wie an die Opfer des Dritten Reichs erinnert werden soll, erarbeitet jetzt ein Arbeitskreis
WOLPERTSWENDE - Die Gemeinde Wolpertswende will ihrer NS-Opfer gedenken. Auch wenn nicht die ganze Gemeinde von dieser Sache begeistert ist, beginnt jetzt die öffentliche Diskussion. Angestoßen hat das Dorfhistoriker Ludwig Zimmermann, der zusammen in einem offenen Arbeitskreis an der Thematik arbeitet. Zimmermann hat die wertvolle Vorarbeit geleistet und in den Archiven recherchiert. Die ersten Ergebnisse aus dem „Arbeitskreis Erinnerungskultur“sind in der jüngsten Gemeinderatssitzung Mitte Dezember vorgestellt worden.
Wie die „Schwäbische Zeitung“bereits berichtet hatte („Wolpertswende befasst sich mit NS-Opfern“, SZ vom 14. Oktober), will der Arbeitskreis die Opfer des Nationalsozialismus wieder in die Gemeinde zurückholen, aus der sie das NS-Regime herausgerissen hat. Das sagte auch Uwe Hertrampf vom Denkstättenkuratorium NS-Dokumentation Oberschwaben, der die Einleitung in das Thema übernommen hatte. „Wir möchten die Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft holen. Heute sind wir eine Inklusionsgesellschaft, im Dritten Reich war es eine Exklusionsgesellschaft“, brachte Hertrampf das Thema auf den Punkt. Als Baienfurter Gemeinderat war er bereits in die Aufarbeitung der zehn während des Nationalsozialismus getöteten Menschen aus der Gemeinde Baienfurt eingebunden. Wie berichtet, steht dort auf dem Marktplatz ein Klangstein, der an das Schicksal jener Menschen erinnert.
Wie die Gemeinde Wolpertswende mit der Erinnerung ihrer NS-Opfer umgeht, steht noch in den Sternen. Das soll der Arbeitskreis Erinnerungskultur erarbeiten, so lautete der Auftrag des Gemeinderats, der die Arbeit der Freiwilligen begrüßt, wie es im betreffenden Gemeinderatsbeschluss heißt. Fest steht bisher nur, dass der Arbeitskreis die Biografien der betroffenen Personen, die die Gruppe recherchiert hat (siehe Kasten), in einer Broschüre abgedruckt werden. Vier können der sogenannten Aktion T4 zugeordnet werden. Bei dieser Aktion, benannt nach der Adresse der Zentrale der Aktion (Tiergartenstraße 4 in Berlin), ging es um die „Tötung unwerten Lebens“, wie es im NS-Jargon heißt. So sollten geistig und körperlich behinderte Menschen umgebracht werden. Eine dieser Tötungsanstalten war das Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Dorthin fuhren die „Grauen Busse“, unter anderem aus der Heilanstalt Weißenau, wo heute das Denkmal der Grauen Busse an diese Geschichte erinnert.
Ziel ist es, dass die Gemeinde Wolpertswende ein Ort auf den sogenannten Erinnerungswegen wird, die es bereits in den Landkreisen Bodenseekreis, Biberach, Ravensburg, Sigmaringen und Ulm-Alb-DonauKreis gibt. An den Erinnerungswegen gibt es in den jeweiligen Städten und Gemeinden die sogenannten Denkorte, die an die jeweilige Geschichte vor Ort erinnern. Unter anderem sind die Orte Aulendorf, Baienfurt, Ravensburg, Waldburg und Wilhelmsdorf dabei. Uwe Hertrampf sagte: „Es kann ein gutes Gefühl geben, Mitglied in einem Netzwerk mit anderen zu sein, um zu sehen, dass das Schreckliche auch woanders passiert ist.“Die Aufarbeitung der Geschichte sei auch ein Bekenntnis zu den Grundrechten und ein Zeichen der Gemeinde, dass sie hinter diesen auch steht.
Sensibel mit Geschichte umgehen
Nach dem Vortrag von Uwe Hertrampf und Ludwig Zimmermann war es außergewöhnlich ruhig im Ratsaal und die Wortmeldungen der Gemeinderäte sehr besonnen. Man begrüßte das Engagement ausdrücklich. Die Gemeinderäte Jürgen Matt und Dieter Strobel wiesen noch einmal darauf hin, dass, wenn etwas in einem Buch oder einer Broschüre veröffentlicht wird, das 100-prozentig stimmen muss. „Ich befürworte die Arbeit, erwarte aber, dass ordentlich recherchiert wird, weil manches noch schwammig formuliert ist“, sagte Jürgen Matt. Und Wilfried Scheremet, der selbst Mitglied im Arbeitskreis ist, merkte an, man müsse mit der Privatsphäre der Personen behutsam umgehen.
Jetzt liegt der Ball wieder beim Arbeitskreis Erinnerungskultur, der seine Ergebnisse wieder dem Gemeinderat vorstellen wird.
Weitere Informationen zum Denkstättenkuratorium gibt es unter: