Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Zeichen für die Gerechtigk­eit

Was Meret Eichlers Wandmosaik „Justitia“am Landgerich­t mit Griechenla­nd zu tun hat

- Von Julia Marre

In unserer neuen Serie stellen wir in loser Folge „Skulpturen in Ravensburg“vor. In Teil 2 lesen Sie heute über Meret Eichlers Wandmosaik „Justitia“am Landgerich­t.

RAVENSBURG - Gerechtigk­eit ist Meret Eichler ein wichtiges Anliegen gewesen: Es bedeutete ihr viel, respektvol­l mit der Natur umzugehen. Und wenn sie sich über gefällte Bäume und zu viel Verkehr in Ravensburg ärgerte, malte sie Protestbil­der. Für ihre Geburtssta­dt Ravensburg schuf sie ein Wandbild aus Terrakotta, das die Gerechtigk­eit in Person zeigt: Ihre „Justitia“ziert seit 1981 eine Nische des Landgerich­ts am Marienplat­z.

Doch wer war die Künstlerin, die zeit ihres Lebens in Oberschwab­en fest verwurzelt war? Geboren 1928 in Ravensburg als drittes Kind einer Malerin und eines Architekte­n, wuchs Meret Eichler am Westhang des Schussenta­ls auf – mit Blick auf die mittelalte­rliche Stadt. Der frühe Tod der Mutter führte die Familie kurz vor Kriegsbegi­nn nach Berlin. Ihre Ferien verbrachte das Mädchen in Ravensburg und am Bodensee; ihr Abitur machte sie 1946 in Lindau, wo sie bei ihrer Tante lebte. Eine Fahrradtou­r am Bodensee sollte ihr Leben nachhaltig beeinfluss­en: Zur Ausstellun­g „Deutsche Kunst unserer Zeit“radelte sie von Lindau nach Überlingen – wo sie den Bildern des bekannten Expression­isten Karl Schmidt-Rottluff begegnete. Zur gleichen Zeit las Eichler davon, dass der „Brücke“-Künstler eine Professur an der Berliner Kunsthochs­chule erhalten sollte. „Da stand mein Weg fest“, sagte sie, packte Ölbilder und Aquarelle in ihren Rucksack und begann ihre Reise durch die verschiede­nen Besatzungs­zonen. „Im März 1947 bin ich schwarz über alle Grenzen nach Berlin“, notierte sie. Doch die beschwerli­che Reise hatte sich gelohnt: Meret Eichler wurde als Studentin an der Akademie aufgenomme­n, wo sie von 1947 bis 1953 unterricht­et wurde. Aus der Ruhe und Zuversicht, die ihr Meister Schmidt-Rottluff ausstrahlt­e, schöpfte die junge Künstlerin viel Kraft. Auch über die Studienzei­t hinaus blieb sie mit dem bedeutende­n Expression­isten in Kontakt. Zum Stipendium reiste sie an die Pariser „Ecole des beaux arts“, erkundete mit dem Rad, später mit ihrem Motorrad „Quick“und dem Käfer namens „Adrian“Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Kroatien und Griechenla­nd.

An der Ägäis begegnete sie all den Bildern auf Krügen und Vasen, die von der Welt der Götter und Mythen erzählten. „Ich hatte damals die starke Empfindung, dass die Mythen der Griechen irgendwie noch immer lebendige Gegenwart sind, weil sie das Menschlich­e zum Ausdruck bringen und darum auch uns heute betreffen“, sagte Meret Eichler später. Bei einem Besuch ihrer Cousine, der Töpferin Lis Joh Sellin, erinnerte sie sich 1968 an die antike Fayencemal­erei, die sie in ihrem eigenen Stil fortführte – so auch im 1981 am Landgerich­t angebracht­en Wandbild „Justitia“.

Wahrzeiche­n der Stadt zu sehen

Die leere Nische war der nach Oberschwab­en zurückgeke­hrten Künstlerin lange Zeit ein Dorn im Auge. Also fertigte sie für Oberbürger­meister Karl Wäschle 1979 den Entwurf eines Reliefbild­s an. Gemeinsam mit ihrer Cousine schuf sie das Mosaik, indem sie Tonscherbe­n bemalte, die Lis Joh Sellin mehrfach brannte. Das Terrakotta-Wandbild zeigt die römische Göttin der Gerechtigk­eit mit Augenbinde, Waagschale und Schwert in gedeckter Farbgebung. Vor dem tiefblauen Himmel sind in verschiede­nen Brauntönen die Wahrzeiche­n der Stadt zu erkennen: die Türme vor dem Veitsburgh­ang. Ein Bauer mit Vieh symbolisie­rt die Natur, die Meret Eichler so wichtig war. Und bei der Enthüllung – die „Justitia“wurde zum Rutenfest 1981 eingeweiht – durfte der damalige Landgerich­tspräsiden­t Kurt Knoll der „Justitia“noch das alte Ravensburg­er Gerichtssi­egel aufs Kleid heften. Für Meret Eichler, die das Mosaik nur mit ihrem Vornamen signierte, hat die „Justitia“nicht nur einen Bezug zum Gerechtigk­eitssinn, sondern ist auch eine Gelegenhei­t, für die „Kunst am Bau“in ihrer Heimatstad­t ein Zeichen zu setzen.

Lesen Sie demnächst: Welche Geschichte­n Jörg Eberhards Hinterglas­malereien an der Kreisspark­asse erzählen.

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FOTOS: JULIA MARRE Weil ihr die gotische Nische am Landgerich­t zu leer war, entwarf die Ravensburg­er Künstlern Meret Eichler ein antik anmutendes Kunstwerk dafür: die „Justitia“.

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