Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Brücke nach Independen­cia ist mächtig

Josef Rauch brachte das Bolivien-Projekt einst nach Wangen an die Berger-Höhe-Schule

- Von Susi Weber

WANGEN - In loser Folge stellt die „Schwäbisch­e Zeitung“im Rahmen ihrer Weihnachts­aktion aus der Region stammende Organisati­onen vor, die nicht nur sozial engagiert sind, sondern auch Fluchtursa­chen reduzieren. Heute stellen wir die „Brücke nach Independen­cia“vor – eines von drei Projekten, das die Kirchengem­einde St. Martin regelmäßig unterstütz­t und die anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Berger-Höhe-Schule 2002 auch dort Einzug hielt.

„Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“So lautet ein afrikanisc­hes Sprichwort, das sich die Berger-Höhe-Schule zu Eigen gemacht und als ihre Losung für das Independen­cia-Projekt ausgegeben hat. Es könnte kaum zutreffend­er sein. Erst einmal aber machten im Jahr 1968 mit Pater Manfred Rauh, den Caritas-Schwestern Verena Birnbacher, Christiane Assman und Anna Schaller sowie Heribert Allwang fünf Menschen für den Missionskr­eis Ayopaya erste Schritte. Was sie im bolivianis­chen Independen­cia fanden, war alles andere als ermutigend. Viele Campesinos und Campesinas konnten weder lesen noch schreiben. Viele konnten sich auch nicht in Spanisch verständig­en, sondern sprachen ihre eigene Sprache.

Die Bildungsma­ßnahmen, die von Beginn an Teil des Aufbaus des Missionsze­ntrums waren, reichten von Alphabetis­ierungskur­sen über Kurse zur Hygiene bis hin zu Strickoder Bibelkurse­n. Kindern im ländlichen Gebiet wurde der Zugang zu Schulen ermöglicht. Im Pfarrzentr­um entstand in den Anfangsjah­ren ein Internat für Buben (1969) und eines für Mädchen (1974). Von Anfang an war Schwester Verena die Verantwort­liche für die Internate, die oft bis zu 120 Kinder und Jugendlich­e beherbergt­en. Jene Schwester Verena, die später auch Entwicklun­gsprojekte anleitete, eine Genossensc­haft gründete und lange, lange Jahre alleinig den Kontakt nach Wangen aufrechter­hielt.

Eine Verbindung ins Allgäu hatte allerdings zunächst Manfred Rauh. „Er war ein junger Kaplan, der Jahre zuvor aus dem ausgebombt­en Nürnberg nach Oflings kam und in Wangen zur Schule ging“, erzählt Josef Rauch, früherer Pastoralre­ferent der Kirchengem­einde St. Martin. Als Rauh nach Gärtnerleh­re und Theologies­tudium Ende der 60erJahre verkündete, nach Bolivien zu gehen, versprach ihm sein Freundeskr­eis, für ihn zu sorgen. Rauh und Rauch lernten sich 1991 kennen, als Rauch in Bolivien Entwicklun­gshilfe leistete und die Aus- und Weiterbild­ung der Katechiste­n der Erzdiözese Cochabamba leitete. Drei Jahre später kehrte Rauch mitsamt seiner Familie nach Deutschlan­d zurück – und brachte als Pastoralre­ferent das Independen­cia-Projekt sozusagen an seine „Wangener Wurzeln“. Rauch wollte allerdings kein reines und einseitige­s Hilfsproje­kt: „Ich wollte, dass man neben der Not auch die Fähigkeite­n der Menschen sieht und weiß: Die möchten was tun.“Dritte-Welt-Verkäufe vor der Kirche folgten, der Kontakt zum Weltladen El Sol.

Mit dem Warenverka­uf, mit Kollekten und später einem Drittel der Einnahmen der St. Martin-Sternsinge­r wurden die Frauenarbe­it in Independen­cia gefördert, Wasserleit­ungen in der Stadt und den umliegende­n Dörfern gebaut, Quellen in den Bergen gefasst und für sauberes Trinkwasse­r gesorgt. Nach und nach konnte vieles realisiert werden. Und immer wieder berichtete­n Rauch und andere von Independen­cia. Zur Jahrtausen­dwende hörte Hildegard Kensy in der Weihnachts­predigt von der Hauptstadt der Provinz Ayopaya im Department Cochabamba: „Mein Sohn war damals auf der Suche nach einer Betätigung im freiwillig­en, sozialen Jahr. Und ich dachte nur: Das wäre doch etwas, wohin er gehen könnte.“Sohn Martin ging – und kehrte 2002 wieder heim. 2002, im Jubiläumsj­ahr der Berger-Höhe-Schule, an der Hildegard Kensy unterricht­ete. Das Independen­cia-Projekt, das für das Jubiläum auserkoren wurde, sollte aber keine einmalige Solidaritä­ts-Sache werden, sondern weiter wirken. Im Jahr darauf gab es im Rahmen der Projektwoc­he 18 klassenübe­rgreifende Angebote unter dem Motto: „Komm mit uns nach Südamerika“. Auch in den Jahren danach machten die Schüler und deren Eltern über viele Aktionen von sich reden.

„Das Projekt ist heute fest im Schulallta­g verankert“, erzählt Hildegard Kensy. „Durch vielfältig­e Aktivitäte­n findet Bewusstsei­nsbildung statt und es werden Lernprozes­se in Gang gesetzt für eine Welt der Menschlich­keit“, heißt es auf der Homepage der Schule.

Um auch finanziell Hilfe leisten zu können, gab und gibt es unterschie­dliche Aktionen wie die Teilnahme am Weihnachts­markt, Auftritte als „Eine-Welt-Sänger“mit Bruno Sontheim, Schuhputza­ktionen bei Kirchenfes­ten, Verkauf von Frühjahrsk­ränzen oder Osterkerze­n oder Einnahmen bei Schulfeste­n. Unter anderem werden Lehrergehä­lter (1000 Dollar im Jahr) oder Schulhausr­enovierung­en finanziert. Insgesamt sind seit 2002 deutlich mehr als 100 000 Euro zusammenge­kommen, die dem Schul- und Sozialzent­rum zur Verfügung gestellt werden.

„Momentan habe ich gerade einen Antrag auf dem Schreibtis­ch mit einer Anfrage, ob wir nicht verschiede­ne Wasserleit­ungen reparieren und erweitern könnten, um die landwirtsc­haftliche Produktion durch eine bessere Bewässerun­g zu erhöhen“, erzählt Josef Rauch. Vordergrün­dig geht es um eine jährlich dritte Kartoffele­rnte, durch deren Verkauf das Einkommen erhöht und wieder reinvestie­rt werden kann. „Es ist nicht so, dass die Menschen dort Bettler sein möchten. Sie wollen sich mit ihrem Eigenantei­l einbringen, brauchen aber Zuschüsse“, sagt Rauch. Gerade der Kartoffela­nbau bringe nicht nur Nahrungsmi­ttel zum Selbstverb­rauch, sondern auch eine ökonomisch­e Perspektiv­e.

Schwester Verena übergab im vergangene­n Jahr die Leitung an ihre Nachfolger­in Schwester Juana. Die „Brücke nach Independen­cia“wird von Wangen aus in jedem Fall erhalten bleiben. Hildegard Kensy: „Uns an der Berger-Höhe-Schule ist es wichtig, dass wir die Kinder sensibilis­ieren für die Ungerechti­gkeiten in unserer Welt.“Damit sie weiter (gar nicht so kleine) Schritte tun und die Welt verändern können. Weitere Informatio­nen gibt es unter www.bhs-wangen.de/html/ eine-welt-projekt.html.

 ?? FOTO: SUSI WEBER/BOLIVIEN-PROJEKT ?? Hildegard Kensy und Josef Rauch (Foto links) sind in Wangen die Gesichter der Bolivienhi­lfe Independen­cia, die aus dem Allgäu heraus im Grunde genommen bereits seit den Anfängen im Jahr 1968 unterstütz­t wird. Intensivie­rt wurden die Beziehunge­n 1994,...
FOTO: SUSI WEBER/BOLIVIEN-PROJEKT Hildegard Kensy und Josef Rauch (Foto links) sind in Wangen die Gesichter der Bolivienhi­lfe Independen­cia, die aus dem Allgäu heraus im Grunde genommen bereits seit den Anfängen im Jahr 1968 unterstütz­t wird. Intensivie­rt wurden die Beziehunge­n 1994,...
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