Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Sondierer streiten trotz Einigungen
SPD verärgert über „Durchstechereien“der Union – Kritik von Lindner an der CDU
BERLIN - Durchwachsen fiel der dritte Tag der Sondierungen von Union und SPD in Berlin aus. Während sich am Mittwoch weitere Einigungen abzeichneten, etwa beim Gesetz zur Steuerung der Fachkräftezuwanderung sowie beim Ausbau eines Gigabit-Datennetzes, stritten die Verhandlungspartner weiter. Sowohl die von der SPD geforderte Bürgerversicherung als auch der ausgesetzte Fa- miliennachzug für Flüchtlinge sind weiterhin strittig. Die Union will die Regelung über Mitte März hinaus verlängern, die SPD lehnt dies ab. Das von Sigmar Gabriel (SPD) geleitete Außenministerium bereitet aber offenbar bereits die Erteilung von Visa für Familienangehörige vor.
Die SPD wiederum zeigte sich verärgert über die Tatsache, dass Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Montagabend hatte erkennen lassen, dass man sich in Sachen Energiepolitik geeinigt habe. So soll das deutsche Klimaschutzziel für 2020 infrage stehen. Wenig verwundert über diese schnelle Einigung zeigte sich FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei die Jamaika-Sondierungen hatte platzen lassen. „Die Wende der Union ist in der Sache richtig, entlarvt aber die inzwischen völlige Beliebigkeit der Positionen der MerkelCDU“, sagte Lindner der „Schwäbischen Zeitung“.
- Eisernes Schweigen geht anders. Das hatten sich die Sondierer der GroKo eigentlich verordnet. Doch jetzt drang etwas nach außen, und das sorgte für Ärger. Zwar ist der Abschied von den Klimazielen von 2020 nicht überraschend. Aber dass Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Armin Laschet öffentlich davon schwärmte, wie einfach man sich mit der SPD geeinigt habe, zerstöre das Vertrauen, hieß es bei der SPD.
Laschet, der zum Kern-Sondierungsteam der CDU gehört, hatte am Montagabend auf dem Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf gesagt: „Ich kann Ihnen heute berichten, dass wir mit den Sozialdemokraten innerhalb von zwei Sitzungen das Thema Energiepolitik heute abgeschlossen haben.“Bei den letztlich gescheiterten Jamaika-Sondierungen hätten Union, Grüne und FDP noch zäh über die Energiepolitik verhandelt, bei den Gesprächen mit der SPD sei dies nun kein Streitthema gewesen. Weitere Details nannte Armin Laschet nicht.
Die Details jedoch waren schon am Nachmittag auf dem Markt gewesen. „Das Papier aus den Verhandlungen hat mit Sicherheit ein anderer an die Presse gegeben", hieß es. In diesem Papier war festgehalten worden, dass Union und SPD sich vom nicht mehr erreichbaren deutschen Klimaziel 2020 verabschieden wollen. Das ist neu, weil sowohl Martin Schulz als auch Angela Merkel noch im Wahlkampf in Aussicht gestellt hatten, das Ziel zu erreichen. Jetzt soll der Ausstieg aus der Kohle langsamer erfolgen, als dies in den Jamaika-Verhandlungen beabsichtigt war. Eine Kommission soll einen Aktionsplan zum schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung erarbeiten. Die Unterhändler streben aber einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 an. Das wäre ein Fortschritt – bislang waren 50 Prozent vorgesehen.
„Nur ehrlich gemacht“
Dass Deutschland die Klimaschutzziele verfehlen wird, steht spätestens seit Ende 2017 fest. Bis dahin hatte man gerade einmal um 28 Prozent die CO-2 Ausstöße gesenkt, das ist weit entfernt vom 40-Prozent-Ziel. Ein Papier aus dem Umweltministerium ging Ende letzten Jahres davon aus, dass man bestenfalls 32,5 Prozent weniger und schlechtestenfalls nur 31,7 Prozent schafft. „Union und SPD machen sich nun endlich ehrlich", sagt der stellvertretende FDPFraktionsvorsitzende Frank Sitta. Deutschland brauche einen neuen Realismus beim Klimaschutz.
Ganz anders sehen dies Umweltverbände und die Grünen. „Es wäre eine verheerende Entscheidung, wenn eine neue Große Koalition als Erstes vereinbart, das deutsche Klimaziel für 2020 zu widerrufen", sagt BUND-Vorsitzender Hubert Weiger. „Frau Merkel und Herr Schulz haben im Wahlkampf das Einhalten des 2020-Ziels versprochen, das müssen sie jetzt einlösen.“
Der Grünen-Politiker Robert Habeck meint, ihm werde angst und bange, wenn er an den Klimaschutz denke. Sigmar Gabriel (SPD) tue Klimaschutz als grünen Firlefanz ab. Und die Energie-Unterhändler Armin Laschet und Thomas Bareiß (beide CDU) seien noch nie als Klimaschützer aufgefallen, so Habeck.
Jenseits der „Durchstechereien“beim Klimaschutz, über die sich am Morgen eine hörbar erkältete SPDFraktionschefin Andrea Nahles ärgerte, hatten auch andere nicht so ganz geschwiegen. Michael Kretschmer (CDU), der neue und junge sächsische Ministerpräsident, hatte schon öffentlich zum Steuerpaket Stellung bezogen und vor neuen Belastungen für die Wirtschaft gewarnt. Beim Thema Steuern gehen die Wünsche auseinander. Die SPD will wie die Union auch mittlere und kleine Einkommen entlasten, die SPD will aber zusätzlich für Großverdiener den Spitzensteuersatz erhöhen. Davor warnen Unternehmen und auch die Union. Einigkeit besteht wohl darin, dass der Spielraum 45 Milliarden Euro betragen soll.
Am nervösesten
Auf gutem Weg sei man beim Thema Europa, sagte Martin Schulz am Morgen. Der SPD-Chef wird als der angespannteste in der Runde der Sondierer empfunden, denn auf ihm lastet die Aussicht, dass er am Ende noch einen SPD-Parteitag überzeugen muss. Sollte es Donnerstagabend oder Freitagmorgen zur Einigung bei der Sondierung kommen, wird die SPD in die Orts- und Kreisverbände ausschwärmen und versuchen, den Delegierten des Parteitags in Bonn das Sondierungsergebnis schmackhaft zu machen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder meinte, man habe in einigen Bereichen schon viel erreicht. „Aber die großen Brocken sind noch nicht verhandelt." Und es bleibe dabei, es sei erst dann alles verhandelt, wenn man am Schluss sei.