Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein umstrittenes Dankeschön
Weshalb Maria Elisabeth Stapps „Mariensäule“nie auf dem Marienplatz stehen durfte
In unserer neuen Serie stellen wir in loser Folge „Skulpturen in Ravensburg“vor. In Teil 4 lesen Sie heute über Maria Elisabeth Stapps „Mariensäule“.
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RAVENSBURG Sie war im Jahr 1962 das Stadtgespräch in Ravensburg: Die Mariendarstellung der Bildhauerin Maria Elisabeth Stapp wurde an Stammtischen und auf den Wochenmärkten im Schussental heiß diskutiert. Das Denkmal, das der Gemeinderat bereits seit 1957 auf seiner Tagesordnung hatte, ist seinerzeit von vielen konservativen Ravensburgern abgelehnt worden. „Ein solches Marienbild kommt Blasphemie gleich“, schreibt ein Leser im Oktober 1962 in der „Schwäbischen Zeitung“. Und der damalige Stadtarchivar Dr. Alfons Dreher brachte dieses „mehr als verzwickte Kunstwerk“gar mit einem Artikel des Zweiten Vatikanischen Konzils in Verbindung, der „vor Verunstaltungen und hypermodernen Kunstversuchen“warnt, die dem natürlichen Gefühl der Andacht und Verehrung widersprechen würden.
Doch von vorn. Noch während des Zweiten Weltkrieges hatte die Liebfrauenpfarrei ein Versprechen abgegeben: Sollte die Stadt Ravensburg von den Schrecken des Luftkrieges verschont bleiben, so werde sie als Dank dafür ein Mariendenkmal errichten. Jahrelang behandelten die Stadtoberen das Thema im Rat. Lange war unklar, ob dieser Dank des Pfarramts in Form eines Kriegerdenkmals ausgedrückt oder ob eine Mariensäule geplant werden sollte. Dann, am 7. Oktober 1962, genehmigte der Gemeinderat in seiner nicht öffentlichen Sitzung den Antrag der Liebfrauenpfarrei, auf dem Marienplatz nach einem Entwurf der Ravensburger Künstlerin Maria Elisabeth Stapp eine solche Säule zu errichten.
Stapp war in der Nachkriegszeit keine Unbekannte in Oberschwaben: Bereits wenige Jahre zuvor hatte sie für die Stadt Weingarten das impo- sante Martinus-Reiterdenkmal an der Treppe zur Basilika fertiggestellt – Hintergrund dieser Skulptur war ebenfalls ein Versprechen des Dankes, weil Weingarten von der Zerstörung des Krieges weitgehend verschont geblieben war. Die Bildhauerin, die sich dem katholischen Glauben sehr verbunden fühlte und sich diesem auch in ihrem Werk künstlerisch näherte, hatte von 1954 bis 1962 die Ravensburger Christkönigkirche ausgestaltet. Außerdem zählen Kleinplastiken, Porträts, Majolika-Reliefs und Kirchenkunst in Holz, Stein, Bronze und Eisen zu ih- ren Arbeiten. Kirchliche Auftraggeber schätzten an Maria Elisabeth Stapp vor allem ihre „allgemein verständliche Symbolsprache“– eine Symbolsprache, mit der viele Ravensburger damals jedoch gar nichts anfangen konnten.
Am meisten gestört haben mag die moderne Darstellung der Marienfigur: Stapps gekrönte Muttergottes ist aus Bronze, trägt ein Gewand aus blauen Glassteinen und führt an der Hand ihr Kind, das einen Ölzweig als Symbol des Friedens trägt. Die Figuren hat die Künstlerin umrisshaft dargestellt und nach keinem naturalistischen Abbild. Ob es die Kosten von 60 000 D-Mark waren – die Stadt beteiligte sich mit 40 000 D-Mark an der Finanzierung – oder die moderne Interpretation: Stapps Mariendarstellung stieß lange auf breite Ablehnung, sodass man sich auch über den Standort des Denkmals nicht einigen konnte. Die zurückhaltende Künstlerin betrachtete die hitzige Debatte voller Kummer. Dass die Mariensäule wie geplant auf dem Marienplatz nahe der Seelbruckstraße aufgestellt werden konnte, schien bald unmöglich. Würde die Mariensäule dort errichtet, „könnte sie dort die Gefühle evangelischer Bürger der Stadt verletzen“, hieß es vonseiten des Gemeinderats, der Bedenken hegte. Die Kirchengemeinde lenkte schließlich ein und ließ die neun Meter hohe Säule auf kircheneigenem Boden aufstellen: bei der Bushaltestelle Wilhelmstraße. Erst 2001 wurde die Mariensäule nochmals versetzt: Weil sie an der Wilhelmstraße nicht ausreichend zur Geltung gekommen war, steht sie seitdem an der Herrenstraße bei der Liebfrauenkirche.
Lesen Sie in der nächsten Folge:
Warum die Skulptur des DDR-Bildhauers Werner Stötzer 1984 die innerdeutsche Grenze überwunden hat.