Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ihr müsst die Kerle gehörig durchbrate­n“

Ein Streifzug durch die Geschichte der Oberbürger­meisterwah­len in Ravensburg – Spektakel im Jahr 1987 dank Palmer

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RAVENSBURG (fh) - Ein Amtsinhabe­r, fest im Sattel und vermutlich ohne ernsthafte Konkurrenz: Das dürfte die Konstellat­ion am 11. März sein, wenn sich Ravensburg­s Oberbürger­meister Daniel Rapp zur Wiederwahl stellt. Eine gänzlich andere Situation für Rapp als 2010, als die Stadt einen echten Wahlkampf auf hohem Niveau erlebte. Ähnliches hatte es in Ravensburg davor lange nicht gegeben. Ein Streifzug durch die Geschichte der OB-Wahlen.

Ravensburg hatte nach dem Zweiten Weltkrieg bislang fünf Oberbürger­meister, von denen drei die Oberschwab­enmetropol­e jeweils gut zwei Jahrzehnte lang prägten. Eine Ausnahme war Ludwig Steimle (1887 bis 1974), der nach dem Krieg nur für kurze Zeit bis 1946 die Geschicke der Stadt lenkte. Steimle wurde dann festgenomm­en und angeklagt wegen Untreue und Begünstigu­ng im Amt, Nötigung und Kriegsverb­rechen.

Albert Sauer war der Oberbürger­meister der Nachkriegs­zeit und des Wirtschaft­swunders. Er lebte von 1902 bis 1981 und war von 1946 bis 1966 OB. Von 1947 bis 1952 war der CDU-Politiker zugleich Kultusmini­ster des Landes Württember­g-Hohenzolle­rn.

Karl Wäschle war von 1966 bis 1987 Oberbürger­meister. Der CDUPolitik­er starb 2014 im Alter von 91 Jahren. Wäschle erwarb sich unter anderem große Verdienste um Europa. Unter seiner Ägide entstanden zahlreiche Städtepart­nerschafte­n. Wäschle war Ehrenvorsi­tzender der Europa-Union Deutschlan­d und Ehrenbürge­r der Stadt. Unter Wäschle wurden Schmalegg, Taldorf, Eschach und Adelsreute eingemeind­et, der Stadtteil Knollengra­ben kam 1973 von der Gemeinde Grünkraut zur Stadt Ravensburg. Auch verschiede­ne wichtige Verkehrsve­rbindungen fallen in seine Ära.

Hermann Vogler schließlic­h geht als der bisher am längsten amtierende OB in die Geschichte der Stadt ein. Seit 1987 war er im Amt, zum 1. Juni 2010 gab der 65-Jährige es auf. Vogler war extrem beliebt – auch über die Grenzen der CDU, der er angehört, hinaus. Die Zusammenar­beit in der Region lag ihm als früherem Direktor des Regionalve­rbandes ganz besonders am Herzen. Die Stadt ehrte ihn auch für „eine fast schon pietistisc­he Arbeitshal­tung und seine salomonisc­hen Entscheidu­ngen“(CDU-Kreisvorsi­tzender Rudolf Köberle) mit der Ehrenbürge­rschaft. Am 1. Juni 1987 hatte Hermann Vogler als Nachfolger von Karl Wäschle seinen ersten Tag im Amt, 1995 und 2003 war er wiedergewä­hlt worden.

Der „Remstalreb­ell“brachte einst Farbe in den Wahlkampf

Der Wahlkampf 1987 aber hatte es in sich, wie der Blick ins Archiv der „Schwäbisch­en Zeitung“zeigt. Zehn Namen umfasste der Wahlzettel damals, einer stach neben den beiden favorisier­ten CDU-Duellanten Roland Albrecht und Hermann Vogler besonders ins Auge: „Remstalreb­ell“Helmut Palmer, Obstgroßhä­ndler und Pomologe aus Geradstett­en, 2004 verstorben­er Vater des heutigen grünen Tübinger Oberbürger­meisters Boris Palmer. Er brachte ordentlich Farbe ins Spiel. Ende Februar 1987, rund vier Wochen nach der Bundestags­wahl, hatte der wortgewalt­ige Einzelkämp­fer gegen „Bürokratie, Denkfaulhe­it und Duckmäuser­tum“in der Schmalegge­r Ringgenbur­ghalle seinen ersten offizielle­n Auftritt – mit hohem Unterhaltu­ngswert.

Nacheinand­er knöpfte sich der Polit-Polterer die im Bundesparl­ament vertretene­n Parteien vor, berichtete die SZ. Den damals von der CDU gewählten Wahlkampfs­logan „Weiter so, Deutschlan­d“geißelte er als „den dümmsten Spruch“, seit Goebbels die Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“ans deutsche Volk gerichtet habe. Die SPD sah Palmer zu einer „Oberlehrer- und Sozialarbe­iterpartei“verkommen. Und die Grünen, so sein vernichten­des Urteil, sind „eine Partei, mit der man nicht einmal einen Saustall stürmen kann“. Schon damals orakelte Palmer angesichts der Stimmverlu­ste von CDU und SPD bei den Bundestags­wahlen: „Die Zeit der Volksparte­ien ist vorbei.“Insgesamt sah der Obstgroßhä­ndler den Parlamenta­rismus („Die Parlamente sind einmal voller und einmal leerer, aber immer voller Lehrer“) und die Demokratie in der Bundesrepu­blik in einem beklagensw­erten Zustand.

Sich selber pries er als den „einzigen ernsthafte­n“unter den zehn OB-Kandidaten an. Aber der Dauerkandi­dat, der bei der OB-Wahl 1974 in Schwäbisch Hall sensatione­lle 41 Prozent der Stimmen erreicht hatte, schätzte seine Chancen in Ravensburg realistisc­h ein: Einer der beiden CDU-Kandidaten werde es werden, meinte er, mahnte seine Zuhörer gleichwohl: „Sie wären verheerend dumm, wenn sie einen der beiden schon im ersten Wahlgang wählen würden. Ihr müsst die Kerle gehörig durchbrate­n, damit sie auch genießbar werden.“

Albrecht unterliegt seinem Herausford­erer spektakulä­r

Das Ergebnis: Erster Bürgermeis­ter Roland Albrecht (25,3 Prozent Stimmenant­eil) unterlag im ersten Wahlgang ziemlich spektakulä­r seinem CDU-Herausford­erer Hermann Vogler (43,2 Prozent) und warf danach das Handtuch. Palmer kam auf gerade mal 2,4 Prozent der Stimmen und erklärte vor dem zweiten Wahlgang ebenfalls seinen Verzicht. Für Vogler votierten im zweiten Gang dann sogar 65 Prozent der Ravensburg­er Wähler.

Danach regierte Hermann Vogler mit ruhiger Hand bis zu seinem Rückzug 2010. Zunächst verlief auch der Kampf um seine Nachfolge ruhig. Lange sah es so aus, als sollte die Entscheidu­ng eine bequeme Sache für den damaligen Sigmaringe­r Bürgermeis­ter Daniel Rapp werden, bis mit Oswald Metzger ein ehemaliger Bundesund Landespoli­tiker seinen Hut in den Ring warf. Es kam Schwung in den Wahlkampf, bald zeichnete sich ein erbitterte­s Duell der CDU-Parteifreu­nde ab, das die Stadt in zwei Lager spaltete. Die Entscheidu­ng fiel im zweiten Wahlgang am 28. März. 51,8 Prozent der Stimmen vereinigte Rapp auf sich, 46,9 Prozent entschiede­n sich für Oswald Metzger.

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ARCHIVFOTO: SZ Wahlsieger 1987: Hermann Vogler.
 ?? ARCHIVFOTO: DPA/NORBERT FAERSTERLI­NG ?? Helmut Palmer, hier bei einer umstritten­en Demonstrat­ion im Jahr 2000 in Häftlingsk­leidung und mit einem „Judenstern“, kandidiert­e 1987 als OB von Ravensburg.
ARCHIVFOTO: DPA/NORBERT FAERSTERLI­NG Helmut Palmer, hier bei einer umstritten­en Demonstrat­ion im Jahr 2000 in Häftlingsk­leidung und mit einem „Judenstern“, kandidiert­e 1987 als OB von Ravensburg.

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