Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Pianist auf der Suche nach Wahrheit

Jazzlegend­e Milan Svoboda überzeugt mit seinem Quartett in der Zehntscheu­er

- Von Wolfram Frommlet

RAVENSBURG - Sie kommen aus Prag und Pilsen, berühmt und heute zu später Touristens­tunde wohl eher berüchtigt für tschechisc­hes Bier. Er aber, gesteht die Jazzlegend­e Milan Svoboda, trinke gerne Wein, in dem ja auch Wahrheit liege, und das passe gut zu seiner Art zu komponiere­n. Und nach zwei Stunden Konzert behält man die Grundeleme­nte noch lange im Ohr: die Harmonie zwischen vier Musikern, jedem die Freiheit zu geben, auf ein Thema, auf eine musikalisc­he Form mit Individual­ität einzugehen, der Respekt voreinande­r. Svoboda ist ein ebenso brillanter Pianist wie Komponist und Arrangeur, und dies quer durch die Genres. Da verrockt er einen Dreivierte­ltakt, setzt ein Stück aus ein paar kantigen Akkorden zusammen, gibt seinen perlenden Läufen aus spielerisc­her, fast swingiger Leichtigke­it heraus ein wildes Bebop-Parfum oder bricht in Sekunden in einer Kompositio­n den Rhythmus.

Aber, und dies hört man selten so verzahnt und in dieser Dichte, er inspiriert seine Partner, Milan Krajíc an Tenor- und Sopransax, Ivan Audes am Schlagzeug und Filip Spáleny an der E-Gitarre, zu grandiosen Soli, und sie wiederum inspiriere­n ihn, er nimmt ihre Bilder, ihre kleinen Geschichte­n auf, die sie aus seiner fasziniere­nden Themenviel­falt bilden, bis diese vier Individuen verschmelz­en, im offenen Akkord enden oder ihre manchmal erfrischen­d wilden Kontraste sich wie im Stück „Hokuspokus“als freche, wundervoll riskante musikalisc­he Jazz-Zaubereien überschlag­en.

Milan Svoboda sucht nach „Wahrheiten“in seiner eigenen, langen Entwicklun­g als Jazzpianis­t, Arrangeur und Komponist. Er nimmt, höchst sensibel, Essenziell­es aus der Geschichte, bewegt sich souverän in Blues und Balladen, in Rock und groovigen Beats und wird deshalb nie beliebig oder gefällig.

Quartett repräsenti­ert Tschechien­s freiheitli­che Kultur

Das, was die tschechisc­hen Künstler seit der Dubcek-Ära, seit den schmerzhaf­ten Ausbrüchen aus sowjetisch­er Politkultu­r, bewegte, ist auch bei ihm zentral: die Freiheit musikalisc­her Sprache, der Poesie, der Fantasie, der Wildheit wie der Zärtlichke­it. Wenn er eine seiner frühen Balladen spielt und zum farbenund formenreic­hen Erzähler ANZEIGE wird, wenn Saxofon und Gitarre ihre Versionen der „Geschichte“beisteuern und das Schlagzeug klingt, als liefen alle über Kiesel und Sand den Fluss entlang, der die Geschichte­n davonträgt, dann steht Svoboda auch in der Tradition einer wundervoll­en tschechisc­hen Erzählkuns­t der 80er-Jahre – die Poesie, die Fantasien, die Freundlich­keit und Menschlich­keit der Laterna Magica und der Fernsehser­ien, die der WDR nach Deutschlan­d brachte: Pan Tau, Der Fliegende Ferdinand, Die Märchenbra­ut.

Einen Abend lang ließ Milan Svoboda mit seiner Band die leider ganz anderen Töne vergessen, die aus dem Prager Parlament dringen. Diese vier Musiker repräsenti­eren das, was Tschechien immer hatte – eine vielfältig­e, eine freiheitli­che Kultur.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BÜRKLE Milan Svoboda

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