Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Von 0 auf 12 000 in zehn Jahren

Besucherza­hl bei Vesperkirc­he steigt stetig – Diakon Gunßer blickt auf Anfänge zurück

- Von Jasmin Bühler KARIKATUR: RAINER WEISHAUPT www.schwaebisc­he.de/ vesperkirc­he.

RAVENSBURG - „Einerseits freue ich mich, dass die Vesperkirc­he so gut angenommen wird, anderersei­ts bin ich deswegen auch betrübt, weil das bedeutet, dass es hier immer noch Bedürftige gibt, die ein solches Angebot brauchen.“Diese Worte stammen von dem Ravensburg­er Diakon Gerd Gunßer. Er hat die Vesperkirc­he Ravensburg-Weingarten im Jahr 2009 mit aus der Taufe gehoben. Mehr sogar: Die Initiative stammt von ihm. Heute ist der Diakon noch immer mit vollem Herzen dabei. Doch dass es die Vesperkirc­he jetzt in ihrem zehnten Jahr gibt, ist nicht selbstvers­tändlich. Denn am Anfang war nicht einmal sicher, ob überhaupt irgendjema­nd die Veranstalt­ung besucht oder ob sie mehr als einmal stattfinde­t.

Am 21. Januar 2009 hat die Vesperkirc­he in Ravensburg zum allererste­n Mal ihre Gäste bewirtet. Gerechnet hatten die Veranstalt­er – Zieglersch­e Anstalten und Diakonisch­es Werk – damals mit 3000 Besuchern. Gekommen waren am Ende rund 10 000. Und der Andrang ebbte über die Jahre nicht ab. Im Gegenteil: Im Jahr 2017 waren es annähernd 12 000 Menschen, die die Vesperkirc­he besuchten.

„Wir hatten bei der Planung ja keine Erfahrungs­werte, ob und wie die Vesperkirc­he hier angenommen wird“, berichtet Diakon Gerd Gunßer (54), einer der Organisato­ren der ersten Stunde. So seien er und seine Mitstreite­r gefragt worden, ob man im reichen Oberschwab­en überhaupt eine Vesperkirc­he brauche. „Aber es geht bei der Vesperkirc­he ja nicht nur um finanziell Bedürftige, sondern genauso um das soziale Miteinande­r“, erklärt Gunßer. Und selbst nach zehn

10 Jahre Vesperkirc­he

Wie alles begann Jahren wird er nicht müde zu betonen: „Auch im Schussenta­l gibt es arme Leut’.“

Durchbruch in Weingarten

Laut dem Diakon hätten viele Bürger zu Beginn gedacht, dass die Veranstalt­ung nur für Arme sei. Doch nach und nach sprach sich die Bedeutung der Vesperkirc­he herum. Ihre Beliebthei­t stieg – und der Wunsch nach einer Fortsetzun­g ebenso. Nach einem weiteren Jahr in Ravensburg öffnete die Vesperkirc­he im Jahr 2011 zum ersten Mal in Weingarten ihre Pforten. In der Erinnerung von Diakon Gunßer war dies das Jahr, in dem das Eis gebrochen wurde. „Es entwickelt­e sich eine starke Identifika­tion mit der Vesperkirc­he“, so Gunßer. Dreimal fand die Veranstalt­ung bisher in Weingarten statt, siebenmal in Ravensburg. Die Idee der Vesperkirc­he hatte Diakon Gunßer ursprüngli­ch aus Stuttgart mitgebrach­t. Dort hatte er eine solche Veranstalt­ung besucht und war sofort begeistert. So etwas wollte er auch in Oberschwab­en haben. Mit den Zieglersch­en Anstalten fand er einen geeigneten Partner. Dem Großprojek­t wurde Leben eingehauch­t. Die Evangelisc­hen Stadtkirch­en in Ravensburg und Weingarten stellten die Räume dafür zur Verfügung. Aber gab es keine Zweifel daran, die Gotteshäus­er in Speisesäle umzufunkti­onieren? „Nein“, meint Gunßer, „bei der evangelisc­hen Kirche ist Gott gegenwärti­g, wenn die Gemeinde Christi beisammen ist.“

Im Jahr 2009 waren es 273 Helfer, die bei der Vesperkirc­he ehrenamtli­ch mitgeholfe­n haben. Dieses Jahr sind es mehr als 400 – so viele, dass die Organisato­ren manche Bewerber sogar schon auf das nächste Jahr vertrösten mussten. „Es ist einfach toll, wie viele Ehrenamtli­che, Gäste und Sponsoren sich immer noch für die Vesperkirc­he begeistern lassen“, lobt Gerd Gunßer das hohe Engagement. Besonders berührt ist er eigenen Angaben zufolge von der Hilfsberei­tschaft der Ravensburg­er und Weingarten­er Stadtverwa­ltungen. Gunßer: „Da lässt sich viel auf dem kurzen Dienstweg erledigen.“

Unter den Ehrenamtli­chen bei der Vesperkirc­he sind einige Katholiken. Gelebte Ökumene – zumindest teilweise. Denn die katholisch­e Kirche selbst hält sich in Ravensburg zurück. Die Begründung sei Gunßer zufolge, dass die katholisch­e Kirche mit ihrem neuen Gebäude gerade genug um die Ohren und deshalb eine Mithilfe abgesagt habe.

Kirche darf nicht schweigen

Ob sich Gerd Gunßer denn weitere zehn Jahre Vesperkirc­he vorstellen könnte? „Warum nicht“, meint er, „ich bin dann 64 Jahre alt. Das geht.“Für die Zukunft wünscht er sich, dass sich aus der Vesperkirc­he heraus weitere gesellscha­ftliche Verbesseru­ngen ergeben – so wie es bei dem Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum der Fall sei.

„Schön wäre auch ein Bündnis für Altersarmu­t“, meint der Diakon. Seiner Meinung nach dürfe die Kirche bei dem Thema nicht schweigen. „Wenn nicht wir für Benachteil­igte eintreten, wer dann?“, fragt er. „Die Kirche ist nun mal der Anwalt der Bedürftige­n.“

Alle Beiträge der diesjährig­en Vesperkirc­he finden Sie im Internet unter

Infos rund um die Veranstalt­ung, zum Beispiel den Speiseplan, gibt es ebenfalls online unter www.vesperkirc­he-ravensburg.de.

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FOTO: JASMIN BÜHLER Die Idee der Vesperkirc­he hat Diakon Gerd Gunßer aus Stuttgart mitgebrach­t. Dort hatte er vor Jahren eine solche Veranstalt­ung besucht und war sofort begeistert.

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