Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Amerika und die Last der Vergangenheit
Die USA waren Thema zu Beginn der neuen Literaturreihe von Wolfram Frommlet
RAVENSBURG - Ein gut gefülltes Theatercafé und gespannte Erwartung zu Beginn einer neuen Literaturveranstaltung des rührigen Kulturarbeiters und Autors Wolfram Frommlet. Ihr Titel „Ein Gedicht für den Herrn Präsidenten“ist – wie kann es bei diesem Autor anders sein – viel mehr politisch als poetisch gemeint. Ihm zur Seite ein beeindruckendes musikalisches Talent: Michael Moravek, Gitarrist, Sänger von Folk-, Blues-, Rockballaden und Leadsänger der Indie-Band „Planeausters“, gibt den vielfarbigen Sound des amerikanischen 20. Jahrhunderts dazu.
Mit tiefer Donnerstimme und einem Gedicht von Charles Bukowski, dem verrufenen Säufermacho und „enfant terrible“der späten 1960erJahre steigt Frommlet gleich in die Steigeisen einer darstellenden Rezitation. Es braucht einige Sekunden, bis man jeweils mitkriegt, ob er gerade noch im englischen Text ist oder in der deutschen Übertragung, denn beides ist nicht leicht zu verstehen. Erklärungen oder Angaben zu Autoren oder der Herkunft von Texten sind zudem rar. Beim ersten Folksong von Michael Moravek, nach einem Gedicht von Bukowski, gibt der Sänger mit der fantastisch wandelbaren Stimme, die auf Übertreibung verzichtet, einige kurze Informationen.
Dann geht es tiefer in die Geschichte: mit dem auf dem Podest der Freiheitsstatue von New York eingravierten Gedicht „The New Colossus“ der jüdisch-amerikanischen Schriftstellerin Emma Lazarus, 1883 verfasst und an die Millionen Immigranten aus aller Welt gerichtet, aus Walt Whitmans „Song of Myself“von 1892, verstärkt durch das anrührende Traditional „I am a poor, wayfaring stranger“, und wieder Whitman mit „I hear America singing“. Bessie Smiths „Backwater Blues“und Bob Dylans weniger bekannter Song „The Lonesome Death of Hattie Carroll“, der den Mord eines Weißen an einer schwarzen Mutter von zehn Kindern schildert, führen musikalisch wieder in die 1960er. Es ist vom Black-Panther-Movement die Rede, über Vietnam und Martin Luther Kings „March on Washington for jobs and freedom“, zu Allen Ginsbergs „America“und Joan Baez’ „We shall overcome“, das zur Hymne wurde, die Kings Rede „I had a dream“begleitete. Nach der Pause eine Stunde über die Gräuel der Amis und ihrer Konzerne in aller Welt: Vietnam, Kuba, Haiti, Indien, die Aufzählung nimmt kein Ende. Woody Guthries „And I ain't got no home in this world any more“gibt den Soundtrack dazu.
Eine düstere, fast grimmige Miene, denn es gibt wenig zu lächeln
Ein Wechselbad der Ansprache: Einerseits kann sich der Zuhörer geschmeichelt fühlen, dass er für so kundig und literarisch kompetent gehalten wird, dass sich Erklärungen erübrigen, andererseits wirkt das Ganze so deutungssicher, dass sich Nachfragen quasi verbieten. Andächtig lauscht das Publikum, es ist immerhin auch eine größere Gruppe junger Leute dabei – manchmal kommt es einem vor, als säße man in einem Kirchenkonzert, wo auch zwischendurch niemand klatscht.
Im zweiten Teil wird es etwas weniger weihevoll, obwohl Wolfram Frommlets düstere, fast grimmige Miene den ganzen Abend über anhält. Gibt ja auch wenig zu lächeln, gar zu lachen bei diesem Thema Amerika und der „widerwärtigsten Figur“, die dieses Amerika zum Präsidenten gewählt habe. Nun ja, Bashing für die Diktatoren der Welt und Diktatorenanwärter Europas ist angesagt und war auch für das Thema dieser Veranstaltungsreihe angekündigt, die beim nächsten Mal im März Literatur der Türkei und beim dritten Mal Lyrik der Sinti und Roma vorstellen will.