Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schluss mit lustig – die Welt in zehn Jahren
Der Neue Ravensburger Kunstverein zeigt ein provokatives Projekt mit Jugendlichen
RAVENSBURG (fro) - Die junge Generation und Kunst? Null Bock, zumindest auf Goethe, wie es ein Filmtitel suggeriert. Jugend und Politik? Kaum besser, wenn Wahlanalysen stimmen – über den Brexit jammern, zur Wahl aber gingen sie nicht in England und wohl auch nicht zur Europa-Wahl. In Berlin aber dominierten die Jungen die Demo für eine andere Agrarpolitik. So weit muss man nicht gehen. Im Neuen Ravensburger Kunstverein in der Möttelinstraße 17 hängen an Nylonleinen A-4Blätter, beschrieben von Schülern des Albert-Einstein-Gymnasiums (AEG) im Alter zwischen 16 und 18 Jahren. Visionen über Europa zwischen 2014 und 2028. Endzeit-Stimmungen, die an Francis Ford Coppolas Antikriegsfilm „Apocalypse Now“erinnern: Die Jugendlichen haben, im Rahmen des Fachs Ethik/Religion die zentralen globalen Probleme in die nahe Zukunft gedacht, bliebe es in Politik und Wirtschaft bei einem „Weiter so“.
Auf diesen Blättern ist Schluss mit dem hemmungslosen Konsum. Europa ist kollabiert und das idyllische Ravensburg davon nicht unberührt. Es herrscht Hunger weltweit, weil die Ozeane leer gefischt sind, weil ganze Länder brennen als Folge des Klimawandels; in Europa wird der Notstand ausgerufen, das Militär reißt die Macht an sich; es marschiert in Polen ein, um das Land von einer Tyrannei zu befreien; der Beginn des Dritten Weltkriegs. Arbeit gibt es keine mehr, ein paar Mutige von hier machen sich auf nach Rotterdam, um als Migranten zu überleben.
Das Projekt ist Teil des offenen, weitgefassten Kunstbegriffs des Neuen Ravensburger Kunstvereins – auf gesellschaftliche Konflikte zu reagieren, nach außen zu gehen, mit ungewöhnlichen Methoden Zielgruppen zu erreichen, mit unorthodoxen Künstlern wie Daniel Djamo aus Bukarest.
Jugendliche werden ermutigt, Denkgrenzen einzureißen
Dokumentarfilmer, „Migrant“, wie er sich nennt, Studium der Kulturwissenschaften und realer wie mentaler Grenzgänger und Grenzenbrecher. In Belgien, England, Frankreich, vor Ravensburg in Japan, nun auf dem Weg nach Schweden und Finnland – die Idee ist dieselbe: „Imaginäre Archive der Zukunft“zu initiieren, Jugendliche zu ermutigen, Denkgrenzen einzureißen, das, was sie in Ansätzen ja wissen, spüren, was sie beängstigt – der gegenwärtige Zustand der Welt – radikal weiterzudenken. Dystopien zu denken, also negative Utopien, das „Schreckliche“zu denken, weil nur darüber Lösungen, positive Visionen möglich sind.
Für die Schüler war das von der Stadt unterstützte Projekt ein ungewohntes gedankliches Umfeld, resumiert die Pädagogin Ricarda Zink, „in dem sie sich auch mit Identität beschäftigen mussten. Wie verändert die sich, wenn ich bedroht bin in meiner Umgebung, wenn ich den Gedanken zulasse, dass diese schöne Stadt keine isolierte Idylle in den gegenwärtigen Krisen ist. Sie dachten über vieles nach, was sie nicht auf dem Schirm hatten.“Dies im Unterricht fortzusetzen, ist für Ricarda Zink die spannende Herausforderung dieses Kunstprojekts.
Der Kunstverein, Möttelinstraße 17, ist geöffnet von Donnerstag bis Samstag, 18 bis 22 Uhr, und am Sonntag von 15 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.