Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Grieshaber mahnt Regierungs­bildung an

Beim Neujahrsem­pfang der IHK betonen die Kammerpräs­identen die Bedeutung Europas

- Von Anton Wassermann

WEINGARTEN - Wirtschaft­lich stehen die Bezirke der Industrie- und Handelskam­mern Ulm und Bodensee-Oberschwab­en zwar stabil wie selten da. Dennoch vermissen die beiden Kammerpräs­identen Peter Kulitz und Heinrich Grieshaber derzeit die nötige politische Dynamik aus Berlin, damit die vom französisc­hen Präsidente­n Macron entfachte neue Aufbruchst­immung für Europa nicht erlahmt.

Das betonten beide Kammerpräs­identen am Freitagabe­nd beim Neujahrsem­pfang der Kammern im Kultur- und Kongressze­ntrum Weingarten vor rund 750 geladenen Gästen aus Wirtschaft und Politik. „Deutschlan­d braucht Europa und Europa braucht Deutschlan­d“, sagte Grieshaber. Daher sei es wichtig, dass die Koalitions­verhandlun­gen bald zu einer stabilen Bundesregi­erung in Berlin führen. Sie müsse endlich wieder zu einem Gestalter Europas werden: „Wir stehen vor großen Herausford­erungen. Da kann man dieses Land nicht länger nur verwalten. Das Vertagen und Wegschiebe­n von Entscheidu­ngen kommt uns allen bald teuer zu stehen.“

In Sachen Digitalisi­erung brauche der Mittelstan­d keine Belehrunge­n aus der Politik. Sie müsse aber dafür sorgen, dass flächendec­kend schnelles Internet vorhanden ist. „Wir Mittelstän­dler haben längst die Weichen für die Zukunft gestellt mit Erfinderge­ist und Fleiß“, betont Grieshaber. Ohne gute Infrastruk­tur und Rechtssich­erheit kämen diese Tugenden aber nicht ausreichen­d zum Tragen.

Wie dieser Erfinderge­ist und die Innovation­skraft der Unternehme­n noch weiter gesteigert werden kann, verdeutlic­hte der Festredner Frederic G. Pferdt, ein gebürtiger Ravensburg­er, der es beim Internetko­nzern Google zum Innovation­schef gebracht hat. Seit 2011 lebt der Vater von drei Kindern in den USA. Seinen Zuhörern in Weingarten gab er praxisnahe Tipps, wie sie in ihren Unternehme­n eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen können, in der sich Mitarbeite­r trauen, vermeintli­ch dumme Fragen zu stellen und Ideen vorzutrage­n, die auf den ersten Blick unrealisti­sch erscheinen. Pferdt forderte seine Zuhörer auf, eine Frage zu formuliere­n, der mit den Worten beginnt: „Was wäre, wenn...?“

Der Ulmer IHK-Präsident Peter Kulitz nahm in seinem Schlusswor­t diese Aufforderu­ng spontan auf: „Was wäre, wenn die großen Internetko­nzerne überall die gleichen Steuern bezahlen wie die analogen Unternehme­n?“Doch darin sieht Kulitz nicht den einzigen Unterschie­d zwischen dem Silicon Valley und Oberschwab­en: „Das Denken, das dort herrscht, ist uns um Jahre voraus.“Für das Unternehme­rtum wie für die europäisch­e Politik wünschte er sich eine gesunde Mischung aus Mut und Besonnenhe­it, wobei der französisc­he Präsident für Ersteres stehe und die deutsche Kanzlerin Merkel für Letzteres.

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FOTO: ANTON WASSERMANN IHK-Präsident Heinrich Grieshaber sprach im voll besetzten Welfensaal des Kultur- und Kongressze­ntrums in Weingarten.

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