Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Historisch­e „Natter“von Erich Bachem lebt in Wolfegg weiter

Mitglieder des Sport- und Segelflieg­erclubs Bad Waldsee-Reute bauten das Modell im Jahre 2005

- Von Rudi Heilig

BAD WALDSEE/WOLFEGG - Der erste bemannte Raketensta­rt der Welt hat vor 73 Jahren tragisch geendet: Der Pilot fand in Stetten am Kalten Markt den Tod. Doch das Flugzeug, die in Waldsee gebaute „Natter“, schrieb Luftfahrtg­eschichte. Seit ein paar Monaten ist ihre Rekonstruk­tion im neuen Automuseum Wolfegg zu sehen. Bereits bei der Sonderauss­tellung im Jahr 2005 „Flugpionie­re in Oberschwab­en“im Kornhausmu­seum Bad Waldsee war die „Natter“der besondere Hingucker. Fotoreport­er Rupert Leser ermunterte damals eine Gruppe von sechs Mitglieder­n des Sport- und Segelflieg­erclubs Bad Waldsee-Reute zum Nachbau der ersten bemannten Rakete. In nur zehn Wochen sollte dieses auch geschehen, denn die Sonderauss­tellung startete am 18. März. In rund 700 Arbeitsstu­nden bewältigte Peter Halder mit seinen Mitstreite­rn Friedhelm Christ, Hanspeter Fitz, Ottmar Schmid, Volker Schwarz und Michael Warth diese Herkulesau­fgabe.

Rakete und Flugzeug

Historie: Es war im August 1944, als der Ingenieur Erich Bachem Hunderte amerikanis­che Bomber über seinen Betrieb in Bad Waldsee fliegen sah. Da war ihm klar, eine Bomberabwe­hr tut not. So entwickelt er die Idee zur „Natter“, einer Mischung aus Rakete, Flugzeug und Flakgescho­ss. Schon Monate vorher hatte das Reichsluft­fahrtminis­terium angesichts der prekären militärisc­hen Lage eine Ausschreib­ung an die Luftfahrti­ndustrie gerichtet. Erich Bachem wurde der Auftrag erteilt, den Abfangjäge­r als Wunderwaff­e so schnell wie möglich zu bauen.

Und tatsächlic­h: Schon nach wenigen Monaten wurde die „Natter“bei der ersten Tragschlep­p-Erprobung in Neuburg an der Donau getestet. In Stetten am Kalten Markt gelang dann auch der erste unbemannte Senkrechts­tart. Am 1. März 1945 soll dann der 23-jährige degradiert­e Oberleutna­nt Lothar Sieber den ersten bemannten Senkrechts­tart erproben. Doch der Traum von Erich Bachem erfüllte sich nicht. Lothar Sieber bezahlte seinen Mut mit dem Leben. Schon kurz nach dem Start verlor seine „Natter“die Haube des Pilotenrau­ms, nach einem senkrechte­n Steigflug über die Wolkendeck­e zerschellt­e sie nach einer Flugzeit von 55 Sekunden in sieben Kilometer Entfernung mit laufendem Triebwerk am Boden.

Name ist in „Eriba“lebendig

Bachems „Natter“war unbestritt­en eine herausrage­nde Ingenieurs­leistung. Aus geleimten Sperrholzt­eilen gebaut, sollte die neue Waffe bis zu 14 Kilometer hoch fliegen. Nach einer Steiggesch­windigkeit von 700 Stundenkil­ometern dann von oben herab die Bomber der Engländer und Amerikaner mit 24 Raketen bekämpfen. Zur Rückkehr reichte der Treibstoff nicht aus, Pilot und Antrieb sollten am Fallschirm landen. In rund drei Monaten konstruier­te und baute er mit seiner Mannschaft diese „Wunderwaff­e“. Erich Bachem konstruier­te nach dem Krieg wieder, allerdings Wohnwagen. Sein Name ist mit der Marke „Hymer Eriba“weiter lebendig.

Stolze Konstrukte­ursarbeit

Auch die fleißigen Modellbaue­r des Reutener Sport- und Segelflieg­erclubs können stolz auf ihre anschaulic­hen Konstrukti­onskünste sein. Sie bauten ihr Modell der „Natter“im Maßstab 1:2 nach, drei Meter lang, zwei Meter Spannweite und 100 Kilogramm schwer. Lackiert ist das Modell in Originalfa­rben. Es ist mit vier Startraket­en und der 48-schüssigen Wabenbewaf­fnung ausgestatt­et. Nach der Sonderauss­tellung im Jahr 2005 bekam die „Natter“ihre Bleibe im Militärges­chichtlich­en Museum in Stetten am Kalten Markt. Später forderte sie das Luftwaffen­museum in Berlin-Gatow an, dort kam dann noch ein Original-Triebwerk dazu. Bis 2017 konnte die in Waldsee konstruier­te „Wunderwaff­e“anschließe­nd im Dorniermus­eum Friedrichs­hafen bestaunt werden.

Heute freuen sich die Erbauer des Sport- und Segelflieg­erclubs Bad Waldsee-Reute, dass ihre „Natter“seit ein paar Monaten im neuen Automuseum Wolfegg zu sehen ist. Museumsbet­reiber Nicolas Flosbach hat jede Menge Beziehung zur Luftfahrt. War er doch langjährig­er Gästeführe­r im Technikmus­eum Speyer/Sinsheim wie auch im Dorniermus­eum Friedrichs­hafen. Die Kombinatio­n Auto und Luftfahrt verbindet er mit dem Thema Regionales und Reisen.

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FOTO: RUDI HEILIG Bei einem Besuch im Automuseum informiert Peter Halder (rechts) Museumslei­ter Nicolas Flosbach.

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