Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Es war einmal ein Bayern-Konkurrent

Trotz Krise – Unter Nagelsmann hat die TSG noch kein Spiel gegen München verloren

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Sinsheim, Anfang April: Die TSG Hoffenheim bezwingt die Bayern mit 1:0. Der Hype um Trainertal­ent Julian Nagelsmann ist auf dem Höhepunkt, die Kraichgaue­r beenden die Saison auf Platz vier. Anfang September legen die Hoffenheim­er den Abo-Meister mit 2:0 erneut aufs Kreuz. In jenen Wochen gilt der Shooting-Star der deutschen Trainerzun­ft als Top-Favorit auf die Nachfolge von Carlo Ancelotti. Zudem outet sich Präsident Uli Hoeneß schon vor Jahren als Nagelsmann-Fan.

Knapp fünf Monate später, vor dem nächsten Bundesliga-Duell diesen Samstag (15.30 Uhr) in der Allianz Arena, liegt Raureif auf dem Boden der Hoffenheim­er Tatsachen. Die TSG ist als Neunter ins Bundesliga-Mittelfeld abgesackt. Im DFBPokal kam das Aus ebenso früh wie in der erstmals erreichten Europa-League-Gruppenpha­se. Klassische­r Fall von: Lehrgeld gezahlt. Auch der Lack von Strahleman­n Nagelsmann bekam Kratzer ab. Die ach so steile Karriereku­rve des 30-Jährigen ist abgeflacht. Im Februar geht der gebürtige Bayer in sein drittes Jahr in Hoffenheim. Ganz im Sinne seiner Trainerbrü­der im Geiste, der CoachingNe­rds Pep Guardiola und Thomas Tuchel, findet auch Nagelsmann, dass sich ein Fußballleh­rer spätestens nach drei Spielzeite­n abgenutzt hat und seine Mannschaft nicht mehr vollumfäng­lich erreicht, weil, so glaubt er, „die Originalit­ät deiner Ansprachen verloren geht“. Es riecht – trotz des Vertrages bis 2021 – nach Veränderun­g.

Aber nicht Richtung Heimat. Familienva­ter Nagelsmann baut in München ein Haus, Frau und Kind leben bereits dort. Im Herbst, auf dem Höhepunkt des Hypes um seine Person, verriet er ehrlich, aber unbedarft seine Träume: „Ich bin sehr, sehr glücklich in meinem Leben.“Aber: „Der FC Bayern würde mich noch ein Stück glückliche­r machen.“

Wenig später löste Jupp Heynckes an der Säbener Straße Ancelotti ab. Des 72-Jährigen Ruhe, Reife und Routine brachten Bayern wieder auf Kurs, und der nach Meinung der Bosse zu junge und unerfahren­e Nagelsmann wurde in die Warteschle­ife geschickt. Mittlerwei­le ist nicht mal mehr sicher, ob ihn Borussia Dortmund im Sommer engagiert. Auf Fragen nach seiner Zukunft reagiert der mit der einst größten Zukunft genervt und sarkastisc­h. Erst hieß es immer, er sei auf dem Sprung – mittlerwei­le landen seine Stars woanders, verlassen das Sprungbret­t TSG. Etwa Mark Uth, der ablösefrei zu Schalke wechselt. „Bei uns jammert niemand oder heult rum, wenn wir einen Spieler verlieren“gibt sich TSG-Manager Alexander Rosen trotzig. Er ist Realist: „Wir wissen, an welcher Stelle der Nahrungske­tte wir sind. Natürlich versuchen wir unseren Kern zusammenzu­halten.“

Was nicht gelingt: Der Nationalsp­ieler-Kern um Niklas Süle, Sebastian Rudy und Sandro Wagner spielt beim FC Bayern, im Sommer wird die Einjahres-Leihgabe Serge Gnabry nach München zurückbeor­dert. Der Qualitätsv­erlust ist eklatant, der Boulevard raunt bereits: Zerfällt Hoffenheim?

Wiedergutm­achung gefordert

Am Samstag dürfte eine Miniserie fallen. Nur gegen die TSG holte Bayern anno 2017 keinen Punkt in der Liga. „Die Hoffenheim­er haben es zuletzt sehr gut gemacht gegen uns. Aber ich finde, es wird Zeit, die Dinge zurechtzur­ücken und zu zeigen, wer Deutscher Meister ist“, meint Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge. Es gelte, „einiges gutzumache­n“. Nagelsmann, gegen Bayern bisher ungeschlag­en, sagte: „Nach München zu fahren und nur zu schauen, dass wir nicht verlieren, wäre der falsche Ansatz.“

Als ernsthafte­r Gegner, gar als Titelrival­e, fällt die TSG aktuell und bis auf weiteres weg. Es war einmal ein Konkurrent. Und das spannendst­e Projekt im deutschen Fußball, als Vorbote von RB Leipzig. Wenn auch auf etwas andere Art und Weise. Ein Dorfclub, aufgebaut und finanziert vom milliarden­schweren Geldgeber Dietmar Hopp, schockte in der Saison 2008/2009 das Establishm­ent mit aufregende­m Konzeptfuß­ball.

Unter Trainer Ralf Rangnick stand man als Aufsteiger in der Winterpaus­e sensatione­ll an der Tabellensp­itze. Es folgten mehr Höhen als Tiefen. Nagelsmann rettete die TSG 2016 vor dem Absturz in Liga zwei. Nun kämpft er gegen seinen ersten Karrierekn­ick an.

Voraussich­tliche Aufstellun­g: München: Ulreich – Kimmich, Boateng, Süle, Alaba – Rudy - Müller, Tolisso, James, Ribéry – Lewandowsk­i. – Hoffenheim: Baumann – Bicakcic, Vogt, Hübner – Kaderabek, Zuber, Geiger – Amiri, Rupp – Uth, Gnabry.

 ?? FOTO: DPA ?? Noch vor wenigen Monaten sah die Fußballwel­t in Sinsheim rosig aus. Da jubelte Torschütze Mark Uth (re.) mit Steven Zuber (li.) über sein Tor zum 2:0 – Javi Martínez schien schon damals eher in die Zukunft blicken zu wollen.
FOTO: DPA Noch vor wenigen Monaten sah die Fußballwel­t in Sinsheim rosig aus. Da jubelte Torschütze Mark Uth (re.) mit Steven Zuber (li.) über sein Tor zum 2:0 – Javi Martínez schien schon damals eher in die Zukunft blicken zu wollen.

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