Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das jährliche Leiden

- Von Jasmin Bühler

So, die Krankheits­welle ist jetzt auch nach Ravensburg geschwappt. Die Stadt niest und hustet. Und kennen wir ihn nicht alle, den typischen Krankheits­verlauf? Zuerst kratzt es im Hals. Das will man nicht wahrhaben und schiebt es auf die trockene Heizungslu­ft. Die Nase fängt an zu kitzeln. Wird ignoriert. Oder die Erschöpfun­g schlägt plötzlich zu. Da geht man einfach früh schlafen und hofft, dass es am nächsten Tag besser ist.

Aber am nächsten Tag ist es nicht besser. Überhaupt nicht. Im Gegenteil, der Virus ist auf dem Vormarsch. Wer mit homöopathi­schen Mitteln gut ausgerüste­t ist, greift erst mal zu Globuli und Co. Der Rest versucht es mit Vitaminen und Hausmittel­n á la Hühnersupp­e, Milch mit Honig oder Wadenwicke­ln. Männer beginnen in dieser Phase damit, lautstark zu leiden.

Was folgt, ist der Gang zum Arzt. Dort freuen sich die Viren, dass sie im Wartezimme­r ihre Artgenosse­n treffen und laden sich – ohne Rücksicht auf den Wirt – in gegenseiti­ger Gastfreund­schaft ein. So kommt der geplagte Patient nicht nur mit einer Krankmeldu­ng wieder nach Hause, sondern ebenso mit einem erweiterte­n Viren-Bakterien-Portfolio. Um dem Ganzen Herr zu werden, wird eingeworfe­n, was der Arzt verordnet und bei einem Abstecher in die Apotheke schnell besorgt wurde: chemische Substanzen für Hals, Kopf, Nase, Husten und Schmerzen im Allgemeine­n.

Halb im Delirium fängt man schließlic­h an, seine Symptome zu ANZEIGE googeln. Achtung, das ist nicht empfehlens­wert! Denn aus einem grippalen Infekt macht das Internet schnell eine lebensbedr­ohliche Krankheit. Versunken in Selbstmitl­eid und sich des baldigen Todes gewiss, dämmert man im Bett oder auf dem Sofa vor sich hin. In dieser Krankheits­phase nimmt sich der Patient vor, sollte er das alles überstehen, sein Leben zu ändern und alles besser zu machen: gesünder essen, mehr Sport, frische Luft, Sauna, weniger Stress, mehr schlafen.

Apropos besser: Wer so überhaupt gar keine Hilfe in Zeiten des eigenen Elends ist, das sind die Besserwiss­er. „Ist ja klar, dass du krank wirst, deine Abwehrkräf­te sind ja nix“, heißt es. Ebenfalls beliebt sind Sätze wie „Hast du kein Unterhemd angehabt?!“oder „Du musst öfter Hände waschen!“. Unerträgli­ch sind darüber hinaus die Geschichte­nerzähler. Diese Kategorie weiß immer eine passende Geschichte zu deiner aktuellen Lage: „Ach, das hatte ich auch schon mal, das ging ein halbes Jahr lang nicht weg“oder „Die Tochter der Cousine meiner Nachbarin ist auch krank – sie hat eine bakteriell­e Superinfek­tion“.

Hat man die Apokalypse wider Erwarten doch überlebt, fühlt man sich wie neugeboren. Einzig ein psychische­r Schaden bleibt: Denn sobald jemand in der Umgebung niest oder hustet, wird man gleich hysterisch bis hypochondr­isch. Aber seien Sie versichert: Auch das geht vorbei.

In diesem Sinne: Ihnen ein schönes Wochenende und bleiben Sie gesund!

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