Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das jährliche Leiden
So, die Krankheitswelle ist jetzt auch nach Ravensburg geschwappt. Die Stadt niest und hustet. Und kennen wir ihn nicht alle, den typischen Krankheitsverlauf? Zuerst kratzt es im Hals. Das will man nicht wahrhaben und schiebt es auf die trockene Heizungsluft. Die Nase fängt an zu kitzeln. Wird ignoriert. Oder die Erschöpfung schlägt plötzlich zu. Da geht man einfach früh schlafen und hofft, dass es am nächsten Tag besser ist.
Aber am nächsten Tag ist es nicht besser. Überhaupt nicht. Im Gegenteil, der Virus ist auf dem Vormarsch. Wer mit homöopathischen Mitteln gut ausgerüstet ist, greift erst mal zu Globuli und Co. Der Rest versucht es mit Vitaminen und Hausmitteln á la Hühnersuppe, Milch mit Honig oder Wadenwickeln. Männer beginnen in dieser Phase damit, lautstark zu leiden.
Was folgt, ist der Gang zum Arzt. Dort freuen sich die Viren, dass sie im Wartezimmer ihre Artgenossen treffen und laden sich – ohne Rücksicht auf den Wirt – in gegenseitiger Gastfreundschaft ein. So kommt der geplagte Patient nicht nur mit einer Krankmeldung wieder nach Hause, sondern ebenso mit einem erweiterten Viren-Bakterien-Portfolio. Um dem Ganzen Herr zu werden, wird eingeworfen, was der Arzt verordnet und bei einem Abstecher in die Apotheke schnell besorgt wurde: chemische Substanzen für Hals, Kopf, Nase, Husten und Schmerzen im Allgemeinen.
Halb im Delirium fängt man schließlich an, seine Symptome zu ANZEIGE googeln. Achtung, das ist nicht empfehlenswert! Denn aus einem grippalen Infekt macht das Internet schnell eine lebensbedrohliche Krankheit. Versunken in Selbstmitleid und sich des baldigen Todes gewiss, dämmert man im Bett oder auf dem Sofa vor sich hin. In dieser Krankheitsphase nimmt sich der Patient vor, sollte er das alles überstehen, sein Leben zu ändern und alles besser zu machen: gesünder essen, mehr Sport, frische Luft, Sauna, weniger Stress, mehr schlafen.
Apropos besser: Wer so überhaupt gar keine Hilfe in Zeiten des eigenen Elends ist, das sind die Besserwisser. „Ist ja klar, dass du krank wirst, deine Abwehrkräfte sind ja nix“, heißt es. Ebenfalls beliebt sind Sätze wie „Hast du kein Unterhemd angehabt?!“oder „Du musst öfter Hände waschen!“. Unerträglich sind darüber hinaus die Geschichtenerzähler. Diese Kategorie weiß immer eine passende Geschichte zu deiner aktuellen Lage: „Ach, das hatte ich auch schon mal, das ging ein halbes Jahr lang nicht weg“oder „Die Tochter der Cousine meiner Nachbarin ist auch krank – sie hat eine bakterielle Superinfektion“.
Hat man die Apokalypse wider Erwarten doch überlebt, fühlt man sich wie neugeboren. Einzig ein psychischer Schaden bleibt: Denn sobald jemand in der Umgebung niest oder hustet, wird man gleich hysterisch bis hypochondrisch. Aber seien Sie versichert: Auch das geht vorbei.
In diesem Sinne: Ihnen ein schönes Wochenende und bleiben Sie gesund!