Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wunderbarer Wasserwecken
Manche Menschen sind überzeugt davon, immer in der falschen Schlange vor der Supermarktkasse zu stehen, besonders dann, wenn sie es eilig haben. Denn Zeit haben viele Menschen vermeintlich nie.
In einem kleinen Lebensmittelladen in der Südstadt (von denen es einst mehrere gab), gab es immer Stau vor der Theke der BackwarenAbteilung wie auch an der Kasse, selbst wenn nur drei oder vier Kunden im Laden waren, denn der Besitzer – immer korrekt gekleidet in blauem Arbeitskittel mit Krawatte – nahm gerne die Gelegenheit wahr, auf Qualität und Beschaffenheit seiner Backwaren hinzuweisen: „Ist das nicht ein ganz wunderbares Wasserweckle?“, fragte er mich am frühen Samstagmorgen. Und da ich um diese Uhrzeit nicht sofort in Begeisterung ausbrach, fügte er hinzu: „Schauen Sie sich nur einmal diese vielen Brauntöne an!“„Stimmt“, sagte ich meist kurz angebunden, um zu verhindern, dass nun weitere vier gewünschte Wasserwecken genau betrachtet werden mussten. Doch beim nass gebackenen Brotlaib kamen Kunde und Kundin nicht umhin, außer der Färbung auch die Kruste und den Duft des Brotes zu bewundern und zu rühmen.
Wer schließlich an der Kasse angelangt war, wurde von der Gattin des Ladenbesitzers in ein Gespräch verwickelt, in dem sie nebenher das Neueste aus der Siedlung kurz mitteilte und zugleich die eine oder andere Frage nach dem Befinden der Gattin oder des Gatten, der Schwiegereltern, nach den Zeugnissen der Kinder und dem geplanten Urlaub einstreute. Mir kommt’s vor, als sei ich damals unbewusst dazu erzogen worden, mir Zeit zum Einkaufen zu nehmen, nicht nur wegen der schönen Wasserwecken...