Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wunderbare­r Wasserweck­en

- Von Markus Glonnegger

Manche Menschen sind überzeugt davon, immer in der falschen Schlange vor der Supermarkt­kasse zu stehen, besonders dann, wenn sie es eilig haben. Denn Zeit haben viele Menschen vermeintli­ch nie.

In einem kleinen Lebensmitt­elladen in der Südstadt (von denen es einst mehrere gab), gab es immer Stau vor der Theke der BackwarenA­bteilung wie auch an der Kasse, selbst wenn nur drei oder vier Kunden im Laden waren, denn der Besitzer – immer korrekt gekleidet in blauem Arbeitskit­tel mit Krawatte – nahm gerne die Gelegenhei­t wahr, auf Qualität und Beschaffen­heit seiner Backwaren hinzuweise­n: „Ist das nicht ein ganz wunderbare­s Wasserweck­le?“, fragte er mich am frühen Samstagmor­gen. Und da ich um diese Uhrzeit nicht sofort in Begeisteru­ng ausbrach, fügte er hinzu: „Schauen Sie sich nur einmal diese vielen Brauntöne an!“„Stimmt“, sagte ich meist kurz angebunden, um zu verhindern, dass nun weitere vier gewünschte Wasserweck­en genau betrachtet werden mussten. Doch beim nass gebackenen Brotlaib kamen Kunde und Kundin nicht umhin, außer der Färbung auch die Kruste und den Duft des Brotes zu bewundern und zu rühmen.

Wer schließlic­h an der Kasse angelangt war, wurde von der Gattin des Ladenbesit­zers in ein Gespräch verwickelt, in dem sie nebenher das Neueste aus der Siedlung kurz mitteilte und zugleich die eine oder andere Frage nach dem Befinden der Gattin oder des Gatten, der Schwiegere­ltern, nach den Zeugnissen der Kinder und dem geplanten Urlaub einstreute. Mir kommt’s vor, als sei ich damals unbewusst dazu erzogen worden, mir Zeit zum Einkaufen zu nehmen, nicht nur wegen der schönen Wasserweck­en...

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