Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gelassenheit im Chaos
Beim VfB versuchen sie vor dem ersten Spiel unter Tayfun Korkut Ruhe auszustrahlen
STUTTGART - „Herr, gebe mir die Gelassenheit, Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“, lautet das Gelassenheitsgebet. Man muss das wissen, denn könnte die VfB-Führung die Vergangenheit ändern, wer weiß, ob sie Trainer Hannes Wolf nach dem Aufschrei der Massen wirklich entlassen hätte letzten Sonntag. Und auch sein argwöhnisch betrachteter Nachfolger Tayfun Korkut sollte wissen, was er eher akzeptieren und was er ändern darf an Taktik und Personal, wenn er heute im Kellerduell beim VfL Wolfsburg (15.30 Uhr/Sky) sein Debüt als Stuttgarter Coach feiert.
Tatsächlich versuchte der 43-Jährige, sehr gelassen zu bleiben vor der empirisch fast unmöglichen Aufgabe, den VfB auswärts auch mal zu Punkten zu führen. „Ich will helfen, den Klassenerhalt zu erreichen. Der Wind, der herrscht, verändert nichts an meiner Arbeit. Alles andere ist ausgeblendet.“Er sei gerüstet, sagte Korkut am Freitag: „Ich war schon in der ein oder anderen brenzligen Situation. Ob der Wind noch böiger wird, werden die Ergebnisse zeigen.“
Doppelspitze ist möglich
Die wiederum dürften auch von Korkuts Motivations- und Strategiekünsten abhängen – und seiner Aufstellung. Große Systemänderungen werde es aufgrund der Kürze der Zeit nicht geben, deutete er an, stattdessen wolle er die individuellen Stärken der Spieler zur Geltung bringen. Denkbar ist also, dass Stuttgart mit dem von Wolf gewöhnten 4-2-3-1 aufläuft. Die jungen Ex-Dortmunder Dzenis Burnic und Jacob Bruun Larsen, der beim 0:2 gegen Schalke patzte, müssen vermutlich wieder auf die Bank, Santiago Ascacibar, auf den Wolf überraschend verzichtet hatte, rückt wohl wieder ins Team. Gut möglich ist auch, dass Daniel Ginczek, vor Jahren auf dem Weg in die Nationalmannschaft, ehe ihn Verletzungen stoppten, die Chance bekommt, sich als hängende Spitze hinter Mario Gomez zu bewähren. Bei seinen jüngsten Kurzeinsätzen war Ginczek stets ein belebendes Element, zudem hat er bereits gezeigt, dass er auch als verkappte 10 knipsen kann – und Tore sind ja das, woran es dem VfB so mangelt.
Sollte Korkut zum 4-4-2 wechseln, einer Grundordnung, der er fast immer vertraute, könnte Ginczek (oder auch Takuma Asano) zusammen mit Gomez auch die Doppelspitze bilden. In diesem Fall dürfte auch wieder die Stunde von Routinier Andreas Beck schlagen. Der gebürtige Aalener war zuletzt nur Reservist. Dass Wolf Larsen nach nur einem Bundesligaspiel und nur drei Tagen beim VfB gegenüber dem Ex-Nationalspieler Beck bevorzugte, war allerdings nicht nur ein kleiner Affront gegen alle gestandenen Kollegen, es rächte sich auch. Fehlen wird wie schon so oft Holger Badstuber. Der Verteidiger fällt wegen einer Adduktorenverletzung aus.
„Er habe sich mit dem Spielerrat ausgetauscht“, sagte Korkut, zudem habe er versucht, „jeden einzelnen Spieler so gut wie möglich persönlich kennenzulernen“. Dass es nicht noch mehr wurden am Mittwoch zum Transferfinale, stets die Spezialität von Vorgänger Jan Schindelmeiser, nahmen dem Manager Michael Reschke übrigens einige Fans übel – zumal sich Kellerrivale Werder Bremen für zehn Millionen Euro gleich mit zwei Akteuren eindeckte. Auch Wolfsburg verstärkte sich noch mit dem Ex-Freiburger Admir Mehmedi, der heute bereits auflaufen könnte.
VfB-Präsident Wolfgang Dietrich nahm Reschke naturgemäß in Schutz: „Ich zähle es zu seinen Stärken, dass er am letzten Tag der Transferperiode nicht in Aktionismus verfallen ist“, sagte er den „Stuttgarter Nachrichten“, fügte an, dass man den zaudernden Wolf quasi entlassen habe müssen („Seine Bedenken nach dem Spiel waren so grundsätzlich, dass wir keine andere Wahl hatten“). Und auch Reschke scheint den Gelassenheitsspruch verinnerlicht zu haben. Intern sei es total ruhig, sagte er. „Die „Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Zukunft sind gegeben, weshalb wir weit davon entfernt sind, dass hier ein Chaos ausbricht.“
2. Bundesliga (21. Spieltag)
F. Düsseldorf – SV Sandhausen 1:0 (1:0) Tor: 1:0 Hoffmann (2.). – Wolf (Düsseldorf) hält Handelfmeter von Kister (74.). – Zuschauer: 23 288.
1. FC Nürnberg – Erzgebirge Aue 4:1 (1:0) Tore: 1:0/2:0 Möhwald (37./46.), 3:0 Erras (71.), 3:1 Soukou (72.), 4:1 Werner (76.). – Zuschauer: 24 451