Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Kapitel Stadtgeschichte aus dem 16. Jahrhundert
Wie sich Karl-Henning Seemann von einem Abenteuerroman für seine Bronzearbeiten inspirieren ließ
In unserer Serie stellen wir in loser Folge „Skulpturen in Ravensburg“vor. In Teil 16 lesen Sie heute über die Figurengruppe „Zwischen Esel und Ballen“von Karl-Henning Seemann.
RAVENSBURG - Auf einem voll bepackten Esel steht ein jüngerer Kaufmann und reicht den älteren Handelsherren einen Ballen. Er möchte, dass sie mehr tun. Doch die beiden Altgedienten stehen auf einem Batzen voller Säcke, wenden sich desinteressiert ab und haben offensichtlich kein Interesse an den Ansichten des jungen Händlers. Unterhalb der beiden Backstein-Säulen, auf denen die Figuren agieren, plätschert der Stadtbach.
Seit nunmehr 30 Jahren stehen die drei Bronzefiguren mit Sack und Pack und Esel dort, wo die Olgastraße auf die Meersburger Straße trifft. Als „Kunst am Bau“ist die Skulpturengruppe im Oktober 1987 anlässlich der Eröffnung der Kreissparkasse vor deren Haupteingang errichtet worden. 300 000 Mark hat die Gruppe damals gekostet. Hervorgegangen ist der Entwurf aus einem Wettbewerb. Das Thema: die Große Ravensburger Handelsgesellschaft. Gewonnen hat die Ausschreibung der Bildhauer KarlHenning Seemann. Mit seiner groß dimensionierten Bronzeplastik setzte der einstige Professor an der Kunstakademie Stuttgart der ehemals ruhmreichen Ravensburger Handelsgesellschaft ein Denkmal.
Der „Schwäbischen Zeitung“erklärte der Bildhauer im Jahr 1990: „Pioniergeist, Wagnis, Abenteuer und große Strapazen, Eselfuhren über die Alpen und das Überqueren großer Entfernungen zur See, aber auch das Überbrücken, Überschreiten von scheinbar Unüberbrückbarem auf der einen Seite und die satte Unbeweglichkeit und sture Ablehnung aller neuen Anregungen auf der anderen Seite, habe ich versucht, in diesen Figuren zu komprimieren.“
Zahlreiche Plastiken und Skulpturen hat Seemann für den öffentlichen Raum geschaffen – von Kiel bis München, von Dresden bis Freiburg. Dabei legt Seemann Wert darauf, die Figuren in den räumlichen Zusammenhang mit der sie umgebenden Architektur, dem Städtebau oder der Landschaft einzubinden, dass sie aus großer Entfernung und aus der Nähe spannungsvoll wirken können. Inspirieren ließ sich der Künstler für seine Ravensburger Bronzeplastiken übrigens von einem Abenteuerroman aus dem Jahr 1940: Otto Rombachs „Der junge Herr Alexius“. Darin schildert der Schriftsteller die Erlebnisse des Kaufmanns der Ravensburger Handelsgesellschaft. In seinem Kapitel „Zwischen Esel und Ballen“geht es um den Konflikt zwischen den beiden zerstrittenen Gruppen der Ravensburger Handelsherren, die so sehr mit ihren Querelen beschäftigt waren, dass sie sich nicht mehr auf die Erfordernisse des modernen Fernhandels einstellen konnten. Alle Berichte zur Serie finden Sie gesammelt in unserem Dossier im Internet unter www.schwaebische.de/skulpturen-ravensburg