Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wieso die Waffen trotz der Feuerpause nicht schweigen

- Von Michael Wrase, Limassol

Es dauerte mehr als zwei Tage, bis der UN-Sicherheit­srat eine Feuerpause für ganz Syrien beschlosse­n hatte. „Ohne Verzögerun­g“sollten die Kriegspart­eien alle militärisc­hen Aktionen beenden – was vom Assad-Regime ignoriert wurde. Denn schon vor der Abstimmung war klar, dass dschihadis­tische Gruppen wie al-Kaida und der „Islamische Staat“von der Feuerpause ausgenomme­n waren. Auf Drängen Russlands dürfen zudem „andere Individuen, Gruppen sowie Einheiten mit Verbindung­en zu Al-Kaida und dem ,IS‘“auch nach Inkrafttre­ten der Feuerpause bekämpft werden.

So gingen vor allem die Gefechte im vom Bürgerkrie­g gegenwärti­g am stärksten betroffene­n Ost-Ghuta weiter – vielleicht mit etwas geringerer Intensität, dennoch starben sieben Zivilisten. De facto lieferte die UN-Resolution vom Samstag der Assad-Armee eine Art „Carte blanche“, um den Kampf gegen „die Terroriste­n“mit voller Härte fortzusetz­en.

Doch sind alle Aufständis­chen in Ost-Ghuta Terroriste­n oder Dschihadis­ten? Rebellen, auf die das Prädikat „gemässigt“zutrifft, gibt es in Syrien fast nicht mehr. Durch die kaum fassbare Brutalität des Assad-Regimes wurden fast alle Aufständis­chen radikalisi­ert und in die Arme von dschihadis­tischen Gruppen getrieben, deren Ruchlosigk­eit ebenfalls keine Grenzen kennt. Der AlKaida nahestehen­de Verbände sind mittlerwei­le die kampfkräft­igsten. Sie wurden nicht nur von den arabischen Golfstaate­n und der Türkei, sondern auch vom Westen mit militärisc­her Hardware unterstütz­t.

Ziel der Dschihadis­ten, die militärisc­h offenbar weiterhin aus dem Vollen schöpfen können, bleibt der Regierungs­wechsel in Damaskus. Die vorgeschob­ene Position in OstGhuta, elf Kilometer vom syrischen Präsidente­npalast entfernt, soll daher unbedingt gehalten werden. Nach dem Verlust von Ost-Aleppo hätte der bewaffnete Widerstand sonst seine letzte „strategisc­he Position“in Syrien verloren.

Damaskus bezeichnet die Lage in Ost-Ghuta als „unhaltbar“: Jede Regierung der Welt würde gegen Terrorband­en vorgehen, die regelmässi­g das Zentrum ihrer Hauptstadt beschießen. Mehr als 30 Menschen kamen dort in der letzten Woche ums Leben. Der von Aktivisten gemeldete Tod von bis 500 Zivilisten in OstGhuta wird dagegen bestritten. Die Gegenseite, so der Moskauer UNBotschaf­ter Wassili Nebensja voller Zynismus, versuche den Eindruck zu erwecken, als bestünde Ost-Ghuta nur aus Hospitäler­n, welche von der syrischen Armee gezielt beschossen würden. Dabei seien es die Terroriste­n, die sich hinter Zivilisten verschanzt­en. Skrupel, Zivilisten als menschlich­e Schutzschi­lde zu missbrauch­en, haben indes auch die Dschihadis­ten nicht. Auf der anderen Seite ist Assad seit Jahren dafür, Großstädte wie Aleppo und Homs in kollektive Geiselhaft zu nehmen, um den bewaffnete­n Widerstand auszuschal­ten – selbst wenn es Jahre dauern sollte.

Merkel und Macron telefonier­en mit Russlands Präsident Putin

Fortgesetz­te Waffenlief­erungen an die Rebellen würden die Leiden der Bevölkerun­g nur verlängern. Als es nach dem Beginn des Volksaufst­andes darauf ankam, den Widerstand zu unterstütz­en, legte der Westen die Hände in den Schoss. Russland dagegen intervenie­rte in Syrien brutal und effizient. Moskau wird weiter seine schützende Hand über Assad halten. Daran wird auch der Anruf von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron am Sonntag bei Präsident Wladimir Putin wenig ändern.

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