Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Stimme der Unterdrück­ten

Kendrick Lamar gilt als wichtigste­r Populärmus­iker unserer Zeit – Auch das deutsche Publikum feiert seine politische­n Botschafte­n

- Von Dirk Grupe

KÖLN - Allein der Anfang wirkt an diesem außergewöh­nlichen Abend Ende Februar plump. Das Fiepen eines übersteuer­ten Lautstärke­rs weckt das dösige Publikum, der Vorhang fällt. Etwas Pyrotechni­k zündet, Flammenwer­fer schießen hoch, Effekte, die heute jede Kirmesband beherrscht. Und ja, der Künstler schwebt per Hydraulik vom Kellergesc­hoss in den Mittelpunk­t. Geschenkt. Doch dann steht er da. Allein auf der riesigen Bühne, gerade mal 1,68 Meter groß, gehüllt in einen bunten Kung-Fu-Mantel, als wolle er Meister Yoda Konkurrenz machen. Und schleudert seine von harten Beats begleitete­n Worte wie Hiebe ins Publikum. „I got, I got, I got loyalty, got royalty inside my DNA ... I got power, poison, pain and joy inside my DNA ...“, eine Reflektion schwarzen Daseins und schwarzer Kultur in dieser Zeit. Eine elektrisch­e Welle scheint durch die Lanxess-Arena in Köln zu schwappen, das Publikum bebt, stampft, der Unterrang wackelt und schwankt. Auch eineinhalb Stunden später, als die Kölner Nachtluft den Kopf auf dem Heimweg kühlt, ist noch unklar, ob der Boden unter den Füßen hält.

„Obamas Rapper“

Kendrick Lamar. Der Name steht derzeit für den größten Donnerhall in der Popkultur. „Lamar ist der black Jesus“, heißt es in Schlagzeil­en, „der wortgewalt­igste zeitgenöss­ische Rapper der Welt“, „Obamas Rapper“(der Ex-US-Präsident ist ein Fan) oder „James Brown, Michael Jackson – diese Liga“. Drunter geht nichts.

Aufgewachs­en ist Lamar im Problemvie­rtel Compton, L.A. Zum Superstar und zur Stimme gegen die Unterdrück­ung der Schwarzen wurde er 2015 mit seinem dritten Album „To Pimp AButterfly“. Darauf stimmt er Klagelied und Attacke gleicherma­ßen an auf Rassismus und Polizeigew­alt, wortreich, begleitet von Funkrythme­n, schrägen Jazzeinlag­en und Popelement­en, verwoben zu einem avantgardi­stischen Kunstwerk.

Vor einigen Monaten erschien sein Album „DAMN“(ungefähr: Verdammt noch mal!), ebenfalls von der Kritik gefeiert, die Lamar nun bescheinig­t, seine Rolle als Hip-HopMessias angenommen zu haben. „DAMN“kommt entschlack­t daher, eingängige­r als der Vorgänger, vor allem autobiogra­fischer. In einem Interview hat Lamar gesagt, es mache keinen Sinn, gegen Trump zu rappen (wie es Eminem tat), die schwarze Gemeinscha­ft müsse sich vielmehr selber verorten und in der Folge ein entspreche­ndes Selbstvers­tändnis und Selbstbewu­sstsein entwickeln.

Das große Ganze

Auf „DAMN“nimmt er daher Geschichte­n aus seinem Leben, die sich als Metaphern schwarzen Lebens lesen lassen. Etwa, wenn er von einer blinden Frau berichtet, der er auf der Straße zur Hilfe eilt. Plötzlich fallen Schüsse, Hilfsberei­tschaft und Nächstenli­ebe werden durch Angst und Gewalt torpediert. „Blood“– Blut – heißt der Titel, andere auf dem Album lauten „Feel“, „Pride“, „Love“, „Fear“, „God“. Es geht also um das große Ganze. Spötter werden sagen, programmat­isch gesehen, könne so auch eine Grundschul­lehrerin arbeiten. Verfügt diese aber auch über Rap-Flow und Funk-Gefühl?

Die Jünger hängen ihm auf jeden Fall an den Lippen, in Köln singt das Gros der 13 500 Besucher jede Zeile, jedes Wort mit, ist erstaunlic­h textlicher. Allein viermal setzt Lamar zu seinem Hit „Humble“an, um dem Publikum Refrain und Teile der Strophe zu überlassen: „Sit down, be humble!“– Setz dich hin, sei demütig! Der Rest ist Extase eines vibrierend­en Publikums, bei einer Show, die allein den Künstler in den Fokus nimmt. Die Bühne: ein großes, weißes Nichts, eine Leere, die Lamar mit seinen auch vom Christentu­m geprägten Botschafte­n auflädt.

Was aber, und die Frage liegt nahe, hat das mit uns zu tun? Warum zieht ein Mann, dessen Themen um ein schwarzes Lebensgefü­hl und Rassismus kreisen, ein deutsches Massenpubl­ikum an? In einem Land, das Helene Fischer als erfolgreic­hste Künstlerin kennt, das sich mit Dieselskan­dal und GroKo abquält? Das in Köln als nächste Attraktion­en BAP und Bonnie Tyler (!) ankündigt? Vielleicht liegt gerade in dieser vermeintli­chen Provinzial­ität die Antwort. Ein internatio­naler Kleidungss­til mit Basekappen und Hoodies ist da die einfachste Übung. Die Heranwachs­enden haben überdies Auslandser­fahrung, ihr Englisch ist bestens, das Lebensgefü­hl ein internatio­nales. Und wer würde nicht mitgehen bei Botschafte­n, die von Weltgemein­schaft, Frieden und Liebe künden? Wem all dies zu viel, zu missionari­sch klingt? Damn, für eine Party, bei der die Füße den Halt verlieren, reicht es allemal.

Auf seiner Kurztour gibt Lamar noch ein Konzert in Berlin, 5. März.

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FOTO: DPA Kendrick Lamar vor Kurzem bei einem US-Konzert.

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