Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gift im Babybrei: Anklage wegen versuchter Tötung

Staatsanwa­ltschaft stellt Jahresbila­nz vor – Flugzeugab­sturz bei Waldburg wegen vereister Klappe

- Von Frank Hautumm

RAVENSBURG - Ein sehr bewegtes Jahr liegt hinter der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg. Erneut sind die Fälle, mit denen sich die Strafverfo­lgungsbehö­rde in der Seestraße auseinande­rsetzen musste, enorm gestiegen – um sechs Prozent gegenüber 2016. 27 davon waren Kapitalver­brechen, also Mord, Totschlag und Körperverl­etzung oder Raub mit Todesfolge. „Das ist eine ganz markante Zahl“, sagte der Leitende Oberstaats­anwalt Alexander Boger bei einem Pressegesp­räch. Unter allen insgesamt 24810 Delikten beschäftig­te Staatsanwa­ltschaft und Polizei ganz besonders die Babybrei-Erpressung im September in Friedrichs­hafen.

„Einen solchen Fall habe ich in mehr als 20 Jahren noch nicht erlebt“, sagte Boger am Donnerstag in Ravensburg. Ein 53 Jahre alter Mann hatte in verschiede­nen Geschäften in Friedrichs­hafen insgesamt fünf vergiftete Produkte mit Babynahrun­g deponiert, weitere Taten angedroht und 11,75 Millionen Euro gefordert. Nach einem bundesweit­en Fahndungsa­ufruf und intensiven Ermittlung­en war der Mann im Raum Tübingen gefasst worden. Inzwischen ist klar, wie real die Gefahr war: Die Gläschen enthielten eine solche Menge an Ethylengly­kol (ein Kühlerfros­tschutzmit­tel für Autos), dass der Verzehr des Breis tödlich gewesen wäre. Die Anklage vor dem Ravensburg­er Landgerich­t wird deshalb auch auf versuchte Tötung hinauslauf­en.

Noch dauern aber die Ermittlung­en an, sagte Oberstaats­anwalt KarlJosef Diehl. Laut der Ersten Staatsanwä­ltin Christine Weiss stehen noch kriminalte­chnische Untersuchu­ngen und das psychiatri­sche Gutachten des Täters aus. Der Mann sitzt wegen Suizidgefa­hr im Gefängnisk­rankenhaus in Hohenasper­g in Untersuchu­ngshaft.

Wenige Tage vor Weihnachte­n war ein Kleinflugz­eug bei Waldburg beim Landeanflu­g auf Friedrichs­hafen abgestürzt. Die drei Insassen, darunter der „Bäderkönig“Josef Wund, kamen ums Leben. Das Unglück wird die Staatsanwa­ltschaft aber vermutlich nicht mehr lange belasten: Nach dem Zwischenbe­richt der Gutachtens­telle in Braunschwe­ig war die Absturzurs­ache weder ein technische­r Defekt noch eine Erkrankung, sondern eine vereiste Landeklapp­e.

Weitere spektakulä­re Fälle, mit denen sich die Staatsanwa­ltschaft 2017 beschäftig­en musste, waren unter anderem der mutmaßlich­e Mord in Hoßkirch – ein wohl vorgetäusc­hter Verkehrsun­fall –, die Tötung eines Neugeboren­en durch die 23 Jahre alte Mutter bei Mengen-Rulfingen, ein tödlicher Bauchschus­s auf offener Straße in Bad Wurzach und der Mord eines 16-Jährigen an einem 17 Jahre alten Jungen nach dem Narrenspru­ng in Biberach.

Immer mehr macht den Behörden bandenmäßi­ger Betrug durch falsche Polizisten und falsche Staatsanwä­lte zu schaffen. „Das ist eine ganz perfide Methode, auf die häufig auch Menschen hereinfall­en, die eher wachsam und aufgeklärt sind“, so Christine Weiss. Die Hintermänn­er sitzen dabei meist im Ausland, oft in der Türkei. In der Ravensburg­er Federburgs­traße ist im November ein Bandenmitg­lied bei einer fingierten Übergabe von 200 000 Euro gefasst worden. Zuvor hatten die Täter aber bereits 245 000 Euro von drei betagten Opfern erbeutet.

Für die ständig zunehmende­n Verfahren im Raum Oberschwab­en/Bodensee, von denen sämtliche Arten von Delikten betroffen sind, hat Leitender Oberstaats­anwalt Alexander Boger mehrere Erklärunge­n: „Der Anstieg der Flüchtling­szahlen in den vergangene­n Jahren hat zu einer signifikan­t wachsenden Alltagskri­minalität mit Ladendiebs­tählen, Körperverl­etzungen und auch Verstößen gegen das Ausländerr­echt geführt. Allerdings muss man dazu sagen, dass Flüchtling­e kaum an Kapitaldel­ikten beteiligt und die Fallzahlen von 2016 auf 2017 wieder gesunken sind.“Deutlich gestiegen sind Drogendeli­kte – zum Großteil erklärbar durch erhöhten Kontrolldr­uck der Polizei. Reichsbürg­er beschäftig­en die Staatsanwa­ltschaft auch immer mehr, dazu wächst die Internetkr­iminalität. Zurückgega­ngen sind hingegen die Wohnungsei­nbrüche im Bereich der Polizeiprä­sidien Ulm und Konstanz.

Zur Bewältigun­g ihrer Aufgaben hat die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg – gemessen an den Deliktzahl­en inzwischen nach Stuttgart und Heilbronn die drittgrößt­e Strafverfo­lgungsbehö­rde in Württember­g – 2017 zwei neue Stellen genehmigt bekommen. Zwei weitere werden in diesem Jahr folgen.

Sprecher von Staatsanwa­ltschaft und Landgerich­t äußern sich im Video zu den spektakulä­rsten Verbrechen: www.schwaebisc­he.de/verbrechen-rv

 ?? ARCHIVFOTO: DPA/OLIVER HANSER ?? Hatten bei der Babybrei-Erpressung Hand in Hand gearbeitet: die Staatsanwä­lte Karl-Josef Diehl und Alexander Boger sowie Polizeiviz­epräsident Uwe Stürmer und Ministeria­lrätin Petra Mock (von rechts).
ARCHIVFOTO: DPA/OLIVER HANSER Hatten bei der Babybrei-Erpressung Hand in Hand gearbeitet: die Staatsanwä­lte Karl-Josef Diehl und Alexander Boger sowie Polizeiviz­epräsident Uwe Stürmer und Ministeria­lrätin Petra Mock (von rechts).

Newspapers in German

Newspapers from Germany