Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Im Spannungsfeld von Digitalisierung und Demografie
„Stiftung Liebenau im Dialog“startet mit Franz Müntefering neue Veranstaltungsreihe
RAVENSBURG - Mit einem prominenten Redner wartete die neue Veranstaltungsreihe „Stiftung Liebenau im Dialog“zum Auftakt im Berufsbildungswerk Adolf Aich auf: Franz Müntefering, ehemaliger SPD-Vorsitzender und Vize-Kanzler, konnte aus seiner Lebenserfahrung und als langjähriger Arbeits- und Sozialminister weit mehr als nur oberflächliche Gedanken zum Thema „Arbeitsmarkt der Zukunft“beisteuern. Mit ihm auf dem Podium diskutierten unter Moderation von Hendrik Groth, Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, Martina Musati (Bundesagentur für Arbeit), Heinrich Grieshaber (IHK-Präsident und Chef der Grieshaber-Logistik) sowie Christian Braun (Geschäftsführer des Liebenauer Berufsbildungswerks).
Nur die Eiseskälte in der zugigen Eingangshalle des Berufsbildungswerks (BBW) konnte am frühen Donnerstagmorgen das Wohlbefinden stören. Ansonsten hatte die Stiftung Liebenau mit Frühstücksbuffet, Musik von der hauseigenen Band und viel Prominenz – darunter alle drei Liebenauer Vorstände: Prälat Michael Brock, Berthold Broll und Markus Nachbaur – alles getan, um ihre neue öffentliche Veranstaltungsreihe ins rechte Licht zu rücken.
Anregende Gedanken
Dazu bot Franz Müntefering – kantig auf den Punkt gebracht – viele anregende Gedanken. Weit mehr als mit der Digitalisierung befasste er sich mit den Herausforderungen der Demografie angesichts einer in Deutschland seit 1964 halbierten Geburtenrate und Überalterung der Gesellschaft. Und über all die Zahlen und Fakten stellte er das Credo, dass Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sowie damit das Recht auf Arbeit und Bildung allen in diesem Land zustehen sollte. Dies bedeute „fördern und fordern“als Prämisse der Arbeitsmarktpolitik – und damit verteidigte er durch die Hintertür auch zentrale Punkte der von ihm vertretenen „Agenda 2010“samt Hartz-IV-Gesetzgebung.
„Keiner darf verloren gehen“, stimmte Martina Musati von der Bundesagentur für Arbeit Münteferings Anliegen zu. Um jedoch die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern und zugleich auch diejenigen mitzunehmen, die von Herkunft und Begabung her benachteiligt sind, bedürfe es großer Anstrengungen bei Bildung und Qualifizierung.
Um das geforderte „lebenslange Lernen“praktisch zu begleiten, investiere die Bundesagentur in viele Programme mit viel Geld. Doch leider erreiche man viele Langzeitsarbeitslose und Problemgruppen, für die diese Programme aufgelegt werden, bisweilen äußerst schwer. Dabei, so Musati, „ist Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit“.
Mit welch vielschichtiger Gruppe junger Leute es das Berufsbildungswerk zu tun hat, verdeutlichte BBWGeschäftsführer Christian Braun. „Den klassischen Lernbehinderten gibt es hier nicht mehr“, sagte Braun, vielmehr seien sehr oft psychische Störungen der Grund, dass der Übergang von der Schule in die Berufswelt nicht auf Anhieb klappt. Eine Ausbildung – übrigens beim BBW in rund 50 Berufsfeldern – und Sozialkompetenz zu vermitteln, das sei die selbst gestellte Aufgabe der Liebenauer Einrichtung.
Und dass sie damit manche Erfolgsgeschichte schreibt, zeigte sich gleich zum Auftakt: Malte Eisenberg, Schreinerlehrling und Sprecher der BBW-Teilnehmervertretung, übernahm souverän die Begrüßung der gut 200 Gäste. Und zum Abschluss zeigte Siegfried Gebhart von der gleichnamigen Stiftung aus Aitrach, dass sich mit dem von ihm unterstützten Jobcoach-Modell etwas sehr Sinnvolles auf die Beine stellen lässt.