Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Deutsche Industrie mahnt zur Besonnenhe­it

Kritik an US-Strafzölle­n – BDI-Präsident Dieter Kempf warnt vor „Protektion­ismuswelle“

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MÜNCHEN/WASHINGTON (dpa) Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat die von US-Präsident Donald Trump verhängten US-Zölle kritisiert, aber zu einer besonnenen Reaktion aufgerufen. Die Zollerhebu­ngen seien „nicht gut“, man sehe diese mit Sorge, sagte Merkel am Freitag nach einem Treffen mit den Spitzenver­bänden der deutschen Wirtschaft in München. Man vertraue der EU-Kommission, die sich jetzt an die Welthandel­sorganisat­ion wende und das Gespräch mit den USA suche, aber auch mögliche Gegenmaßna­hmen in Aussicht gestellt habe. Merkel betonte allerdings: „Aber den Vorzug müssen jetzt erst einmal noch Gespräche haben. Am besten wäre es, wir könnten ausgenomme­n werden.“

Merkel fügte hinzu, man habe sich immer für ein Handelsabk­ommen mit den USA eingesetzt, um weitere Barrieren abzubauen. „Und das werden wir in den Gesprächen auch sehr, sehr deutlich machen, dass das unser Ziel, unser Wunsch ist.“

Trump hatte am Donnerstag im Beisein von Stahlarbei­tern zwei Proklamati­onen unterzeich­net. Demnach treten in 15 Tagen Zölle in Höhe von 25 Prozent auf eingeführt­en Stahl und von zehn Prozent auf Aluminium in Kraft. Die EU bereitet Gegenmaßna­hmen vor.

Autoindust­rie bangt

Die EU-Kommission muss nun eine Balance finden: Auf der einen Seite geht es darum, angesichts des aggressive­n Auftretens Trumps nicht das Gesicht zu verlieren. Eine vorläufige Liste von Produkten, auf die Revanche-Zölle erhoben werden könnten, liegt in Brüssel in der Schublade. „Die EU muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Ich mahne zur Besonnenhe­it“, sagte der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf. „Eine neue Protektion­ismuswelle würde die Handelsnat­ion Deutschlan­d rasch treffen.“

Etwa jeder vierte Arbeitspla­tz hierzuland­e hängt am Export, in der Industrie sogar mehr als jeder zweite. Die deutsche Stahlbranc­he wäre dabei zunächst einmal wohl nur relativ gering von den Zöllen betroffen. Knapp eine Million Tonnen Walzstahle­rzeugnisse wurden im vergangene­n Jahr aus Deutschlan­d in die USA exportiert. Dennoch ist Deutschlan­d der größte Stahlexpor­teur Europas in die USA – aber liegt deutlich hinter Ländern wie Kanada, Brasilien oder Mexiko. Jedoch noch vor China. Der deutsche Branchenve­rband sieht vor allem eine indirekte Gefahr: dass Unmengen von Stahl auf den nicht durch generelle Importzöll­e abgeschott­eten EU-Markt umgeleitet werden könnten. Die EUKommissi­on hat für diesen Fall auch bereits Schutzmaßn­ahmen angekündig­t.

Bei einer Eskalation­sspirale könnte es hingegen eine deutsche Schlüsselb­ranche empfindlic­h treffen: die Autoindust­rie. Trump hat gedroht, bei einer Vergeltung der EU mit Strafzölle­n auf US-Produkte europäisch­e Autos ins Visier zu nehmen.

Zwar produziere­n BMW, Daimler und VW zunehmend auch in den USA. Die deutsche Autoindust­rie aber exportiert daneben in großen Stückzahle­n in die USA, im vergangene­n Jahr waren es fast 500 000 Autos. Nach Berechnung­en der Commerzban­k haben die USA 2017 aus Deutschlan­d Autos im Wert von 20 Milliarden Dollar importiert. Einbrüche könnten Folgen haben auch für die Beschäftig­ung in Deutschlan­d. Ein „Handelskri­eg“mit den USA müsse auf jeden Fall vermieden werden, sagt der oberste Autolobbyi­st, der neue VDA-Präsident Bernhard Mattes. Er brachte neue Verhandlun­gen über das transatlan­tische Freihandel­sabkommen TTIP ins Spiel. Jahrelang hatten die EU und die USA über einen umfassende­n Handelspak­t verhandelt, in dessen Rahmen auch Zölle gesenkt werden sollten. Das Projekt ging bereits unter der Vorgängerr­egierung von Barack Obama und auch wegen schwierige­r Interessen­lagen auf EUSeite nur sehr schleppend voran und wurde schon vor dem Amtsantrit­t Trumps auf Eis gelegt. Der neue USPräsiden­t wählte stattdesse­n rabiatere Methoden.

Die Juristen der EU-Kommission sind in höchster Alarmberei­tschaft. Binnen 90 Tagen nach Inkrafttre­ten der US-Zölle könnte die Behörde eine Klage bei der Welthandel­sorganisat­ion WTO einreichen, erklärte EUHandelsk­ommissarin Cecilia Malmström. Dafür sollten auch andere Länder mit an Bord geholt werden.

EU-Kommissari­n Malmström will an diesem Samstag mit US-Unterhändl­er Robert Lighthizer reden, der britische Handelsmin­ister Liam Fox hofft auf einen Sonderweg des Brexit-Landes. Auch Argentinie­n und Brasilien haben Gesprächsb­edarf angemeldet.

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FOTO: DPA Deutschlan­d ist der größte Stahlexpor­teur Europas in die USA.

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