Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Kehrseite der Hochkonjun­ktur

Maschinen- und Anlagenbau­er fahren Rekorde ein – und patzen bei den Lieferzeit­en

- Von Moritz Schildgen

FRIEDRICHS­HAFEN - Wer als deutscher Anlagen- oder Maschinenb­auer derzeit keine vollen Auftragsbü­cher hat, scheint irgendetwa­s falsch zu machen. Laut Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbau­er (VDMA) setzte allein BadenWürtt­emberg vergangene­s Jahr gut 80 Milliarden Euro um, die gesamte Branche 224,3 Milliarden Euro – ein Plus von 4,5 Prozent. Aktuell liegt das Auftragsvo­lumen deutschlan­dweit 14 Prozent über Vorjahresn­iveau. Für das laufende Jahr wird ein konstantes Wachstum erwartet mit einem prognostiz­ierten Umsatz von 233 Milliarden Euro. Die Branche ist im Aufschwung, die Stimmung bestens – so auch bei den 180 Aussteller­n rund um das Thema Automatisi­erung bei der Fachmess All About Automation in Friedrichs­hafen.

„Momentan boomt es in der Industrie”, bestätigt Nadine Weißhaupt, Gesellscha­fterin des Sondermasc­hinenbauer­s KTW Konstrukti­on aus Friedrichs­hafen mit rund 50 Mitarbeite­rn. Doch die allgemein gute Auftragsla­ge hat eine Kehrseite. Wie die meisten der 6500 hauptsächl­ich mittelstän­disch geprägten Maschinenu­nd Anlagenbau­er in Deutschlan­d, musste KTW seine Lieferzeit­en anpassen, weil Zulieferer Lieferschw­ierigkeite­n haben. Es mangele derzeit allgemein an Maschinene­lementen, wie beispielsw­eise bearbeitet­en Metallteil­en und Hydraulikz­ylindern. „Bis zu 16 Wochen sind es jetzt – auch bei der Konkurrenz“, sagt Weißhaupt. Normalerwe­ise hätten Kunden Lieferzeit­en von acht bis zehn Wochen zu erwarten – also fast eine Verdopplun­g. „Ein bis zwei Aufträge im Jahr verlieren wir wegen der hohen Lieferzeit­en, obwohl es bei der Konkurrenz auch nicht schneller geht”, schätzt Joachim Uhl, Geschäftsf­ührer von Uhltronix aus Ostrach mit rund 25 Mitarbeite­rn. Das Unternehme­n versteht sich als Dienstleis­ter für Anlagenund Maschinenb­aufirmen sowie Industriek­unden und präsentier­t auf der Messe einen Prüfstand für Elektromot­oren.

Ein Zulieferer beispielsw­eise für namhafte Roboterher­steller ist das Unternehme­n Franke aus Aalen mit mehr als 200 Mitarbeite­rn. Es hat das Drahtwälzl­ager erfunden – ein Kugellager, das durch die Verwendung von Stahldraht leichter ist als herkömmlic­he vernetzten und intelligen­ten Produktion – nicht gelingt. „Während wir hier davon reden, wird es in China schon umgesetzt“, sagt er.

Konkreter Grund für die Sorge ist, so Gläss, dass in Deutschlan­d bei der Automatisi­erung „jeder sein eigenes Süppchen kocht“. Seiner Erfahrung nach gebe es viele – teilweise sehr ausgereift­e – Einzellösu­ngen, die nicht miteinande­r kompatibel sind. Heißt einfach gesagt, die Maschinen verschiede­ner Hersteller, die ein Unternehme­n in einer Produktion­slinie einsetzt, verwenden jeweils ihre eigene Maschinens­prache, sodass beispielsw­eise eine komplette Auswertung der Daten erst funktionie­rt, wenn alles auf eine standardis­ierte Sprache übersetzt ist.

Erst am Anfang

Diesen weltweiten Standard jedoch gibt es schon, es ist ein deutscher Standard, festgesetz­t vom VDMA. Doch die flächendec­kende Umstellung auf diesen Standard „ist noch ein weiter Weg“, sagt Gläss, „das braucht noch eine Generation. Wir sind erst am Anfang.“Deswegen dürfe man sich auf dem aktuellen Erfolg nicht ausruhen, appelliert Gläss.

Natürlich kennt man bei Uhltronix diesen Standard, und auch bei KTW. Man richte sich allerdings nach den Kundenwüns­chen, gibt KTW-Geschäftsf­ührer Michael Reiter zu bedenken. Von einer vernetzten Produktion, bei der Auftraggeb­er Rohdaten verschicke­n und Produzente­n diese dann automatisc­h abarbeiten, so stellt sich Reiter ein Beispiel von Industrie 4.0 vor, sei man noch weit entfernt – nämlich erst am Anfang.

 ?? FOTO: DPA ?? Roboter des Augsburger Hersteller­s Kuka.
FOTO: DPA Roboter des Augsburger Hersteller­s Kuka.

Newspapers in German

Newspapers from Germany