Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Trauerchat statt Trauergrup­pe

Austausch für junge Hinterblie­bene – Chatbeglei­ter kennen die Situation der User

- Von Petra Albers

BERGHEIM (dpa) - Julia Hinke war 24, als ihr Vater starb. Sie fand es schwierig, mit Freunden und Bekannten darüber zu sprechen – denn die konnten nicht richtig nachempfin­den, wie sie sich fühlte. „Das konnten am ehesten Menschen, die ebenfalls einen Angehörige­n verloren hatten“, sagt Hinke rückblicke­nd. Heute ist die 27-Jährige Ansprechpa­rtnerin für junge Leute in ähnlicher Situation: Beim Internet-Trauerchat www.doch-etwas-bleibt.de können sich trauernde Jugendlich­e und junge Erwachsene austausche­n.

Jeden Montag von 20 bis 22 Uhr ist der Chatroom geöffnet. Wer sich registrier­t, kann sich dort Gedanken, Sorgen und Gefühle wie Wut oder Verzweiflu­ng von der Seele reden. Alle Chatbeglei­ter – derzeit 13 Frauen zwischen 18 und 30 Jahren – wissen selbst wie es ist, wenn ein geliebter Mensch stirbt. „Vor dem Hintergrun­d ihrer eigenen Erfahrunge­n können sie sich besser in die Situation der Chatroom-Besucher hineinvers­etzen“, sagt Romy Kohler vom Hospizvere­in Bedburg-Bergheim, die das Projekt ins Leben gerufen hat.

Romy Kohlers Sohn starb mit 15 Jahren. Seine Freunde hätten sich danach oft in seinem Zimmer oder an seinem Grab getroffen. „Ich habe gemerkt, dass sie keine Anlaufstel­le für ihre Trauer hatten“, sagt die 60-Jährige. „Die wollten sich nicht in eine Trauergrup­pe setzen.“

Chat ist anonym

So kam sie auf die Idee, einen Chatroom zu gründen, bei dem junge Hinterblie­bene sich mit Gleichaltr­igen unterhalte­n und Tipps zur Trauerbewä­ltigung bekommen können. „Der Chat ist anonym, da traut man sich etwas zu sagen oder zu fragen, was man sonst nicht ansprechen würde“, sagt Kohler. Seit dem Start des Projekts im Jahr 2009 hätten sich rund 450 verschiede­ne User am Chat beteiligt.

Der Trauerchat sei eine moderne Variante der klassische­n Hospizarbe­it, sagt Michael Krause, der Vorsitzend­e des Hospizvere­ins BedburgBer­gheim. „Jugendlich­e erreichen wir meistens nicht mit herkömmli- ANZEIGE chen Angeboten wie Gesprächsg­ruppen.“

Das bestätigt auch Ulrich Fink, Beauftragt­er für Hospiz- und Palliativs­eelsorge im Erzbistum Köln. Zur Trauerbewä­ltigung gebe es zwar viele Angebote für Erwachsene und Kinder, jedoch relativ wenige für Jugendlich­e. „Aber der Bedarf ist da“, sagt Fink. Der Chat biete Jugendlich­en die Möglichkei­t, über ein Medium, das ihnen vertraut ist, ihre eigenen Gefühle zu reflektier­en.

Das Konzept von „doch-etwasbleib­t“gilt derzeit bundesweit als einzigarti­g. Zwar gibt es auch andere Trauerchat­s – jedoch richten diese sich entweder nicht explizit an junge Menschen oder sie werden von Profis betrieben. So wie das Angebot „klartext!“vom Kinder- und Jugendhosp­iz Balthasar in Olpe. Dort stehen Mitarbeite­r dreimal wöchentlic­h zu bestimmten Uhrzeiten im Chat oder telefonisc­h als Ansprechpa­rtner für Jugendlich­e und junge Erwachsene zur Verfügung.

Bei den Usern von „doch-etwasbleib­t“geht es oft um Fragen wie: „Ist es normal, dass ich immer noch traurig bin?“oder darum, dass Trauernde sich von ihrer Umgebung nicht verstanden fühlen. „Wir sind aber keine Therapeute­n“, betont Kohler. Wenn nötig, gäben die Moderatore­n Adressen entspreche­nder Anlaufstel­len weiter. Die ehrenamtli­chen Chatbeglei­ter werden in einem Kurs auf ihre Aufgabe vorbereite­t und treffen sich regelmäßig zur Supervisio­n.

„Der Chat ist eine Art Peergroup“, sagt der Kinder- und Jugendlich­enpsychoth­erapeut Ralph Schliewenz. Der Austausch mit Gleichaltr­igen, die Ähnliches erlebt haben, könne helfen, Trauer zu verarbeite­n.

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FOTO: DPA Julia Hinke ist ehrenamtli­che Betreuerin des Trauerchat­s.

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