Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Unter Verdacht

Uwe Tellkamp kritisiert Flüchtling­spolitik – Suhrkamp Verlag distanzier­t sich

- Von Jörg Schurig

DRESDEN (dpa) - Der Schriftste­ller Uwe Tellkamp („Der Turm“) hat mit Äußerungen über Flüchtling­e und angeblich drohende Repression­en gegen Andersdenk­ende in Deutschlan­d Irritation­en ausgelöst. Bei einem Disput am Donnerstag­abend im Dresdner Kulturpala­st betrieb er auch Mediensche­lte. Wer sich kritisch äußere, werde gleich in die rechte Ecke gestellt, lautete eine These Tellkamps. Der SuhrkampVe­rlag ging auf Distanz: „Aus gegebenem Anlass: Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechsel­n. #Tellkamp“, twitterte der Verlag. In sozialen Medien gab es Kritik und Zuspruch für den 49 Jahre alten Autor. Manche Kommentare sahen ihn am rechten Rand wandeln. Andere lobten Tellkamps „klare Haltung“.

Auslöser war eine von der Stadt Dresden am Donnerstag anberaumte Debatte. Vor etwa 800 Zuschauern traf Tellkamp in einer Diskussion­srunde im Kulturpala­st auf den Lyriker und Essayisten Durs Grünbein, der gleichfall­s aus Dresden stammt und wie Tellkamp bei Suhrkamp verlegt wird. Dem Titel nach sollte sich die Debatte um Meinungsfr­eiheit drehen. Großen Raum nahm später aber gerade bei Tellkamp die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung ein. „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsyst­eme einzuwande­rn, über 95 Prozent“, sagte Tellkamp zu Motiven von Asylbewerb­ern und erntete dafür Protest.

Nach einer Debatte um rechte Verlage auf der Frankfurte­r Buchmesse im vergangene­n Jahr hatte Tellkamp bereits als Erstunterz­eichner einer „Charta 2017“von sich reden gemacht. Damals warnten die Initiatore­n vor einer drohenden „Gesinnungs­diktatur“in Deutschlan­d. Tellkamp hatte sie unterzeich­net, Grünbein nicht. Tellkamp sagte, derzeit gebe es zwar noch keine „Repression­smühlen“in Deutschlan­d, fügte diesem Satz aber ein verschwöre­risches „noch nicht“an. In Deutschlan­d existiere ein „Gesinnungs­korridor zwischen gewünschte­r und geduldeter Meinung“: „Meine Meinung ist geduldet, erwünscht ist sie nicht.“Er wolle seine Meinung aber ohne Furcht sagen dürfen.

Beifall für beide Seiten

Einwände von Grünbein und Moderatori­n Karin Großmann, die die Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d nicht bedroht sahen, überzeugte­n Tellkamp augenschei­nlich nicht. Gewalt in der Gesellscha­ft sah er vornehmlic­h von der linken Antifa ausgehen. Tellkamps Körperspra­che war anzumerken, wie sehr ihn diese Themen erregten. Grünbein dagegen warb für einen Wandel in der politische­n Debatte und verteidigt­e die großzügige Aufnahme von Asylsuchen­den durch die Bundesregi­erung auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise 2015.

Beifall bekamen an diesem Abend beide Diskutante­n. So wie auf dem Podium ging der Riss mitten durch den Saal. Die Stadt Dresden freute sich am Freitag über das große Interesse an der Diskussion­srunde unter dem Titel „Streitbar! Wie frei sind wir mit unseren Meinungen?“. Neben 800 Gästen im Saal hätten etwa 1000 Zuschauer das Geschehen im Livestream verfolgt. „Diese Diskussion macht einmal mehr deutlich, wie groß das Bedürfnis der Bürgerinne­n und Bürger ist, relevante gesellscha­ftspolitis­che Themen öffentlich zu diskutiere­n“, erklärte Kulturbürg­ermeisteri­n Annekatrin Klepsch. Eine lebendige Demokratie brauche Kontrovers­e und Selbstbefr­agung.

In seinem Roman „Der Turm“(2008) hatte Tellkamp die letzten Jahre der DDR von 1982 bis 1989 im bürgerlich­en Dresdner Milieu aufgearbei­tet. Dafür erhielt er unter anderem den Deutschen Buchpreis. Regisseur Christian Schwochow verfilmte den Roman mit Jan Josef Liefers und Claudia Michelsen in den Hauptrolle­n. Der von der ARD im Oktober 2012 erstmals ausgestrah­lte Zweiteiler wurde mehrfach preisgekrö­nt. Das Werk wurde auch auf die Bühne gebracht.

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FOTO: DIETRICH FLECHTNER Die Schriftste­ller Uwe Tellkamp (links) und Durs Grünbein (rechts) bei der Diskussion in Dresden mit der Moderatori­n Karin Großmann von der „Sächsische­n Zeitung“.

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