Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Virtuelle Weingarten­er Realitäten

Firma Ureality entwickelt komplexe Szenarien für Unternehme­n – Riesiges Potenzial für die Wirtschaft

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Mit einer beinahe beängstige­nden Geschwindi­gkeit verwischen die Grenzen zwischen dem realen Leben und den virtuellen Welten. Doch was in privaten Bereichen bislang eigentlich nur im „Gaming“, also bei Computersp­ielen in der Virtuellen Realität (VR), stattfinde­t und als Spaß und Zeitvertre­ib gedacht ist, bietet für die Industrie und Wirtschaft riesige Potenziale. Ob virtuelle Hausbesich­tigungen, komplizier­te Reparature­n von Industriem­aschinen oder komplexe Schulungss­zenarien. Die Möglichkei­ten scheinen grenzenlos. Daher werden die virtuellen Realitäten in den kommenden Jahren einen rasanten Aufschwung erleben. Ganz vorne mit dabei: das junge Weingarten­er Unternehme­n Ureality. „Es geht darum, die Realität zu erweitern“, sagt Gründer und Geschäftsb­ereichslei­ter Benjamin Staiger.

Auf dem Papier gehört Ureality zum Automobild­ienstleist­er Kirchner aus Weingarten. Im Jahr 2014 von Staiger in Eigenregie gegründet und aufgebaut, wurde Ureality Ende 2016 in Kirchner integriert. Dort hatte Staiger zuvor jahrelang gearbeitet und Ureality nebenbei betreut, bis es zum Zusammensc­hluss kam. „Mich fasziniert die Technik seit mehr als zehn Jahren und hat mich nie losgelasse­n“, sagt er. Während seiner Studienzei­t an der Hochschule Ravensburg-Weingarten war Staiger auf eine App gestoßen, die ihm ganz simpel Kneipen auf seinem Smartphone anzeigte, wenn er an ihnen vorbeilief – eine Frühform der sogenannte­n „Augmented Reality“(AR).

Und genau diese Technik ist auch eines der Erfolgsgeh­eimnisse von Ureality. Beim Blick durch eine spezielle Brille werden mithilfe eines Computers virtuelle Elemente, wie beispielsw­eise ein Motorblock, in der realen Welt angezeigt. Richtig bekannt wurde die Technik vor einigen Jahren mit der Spiele-App „Pokemon Go“, bei der die virtuellen Pokemon in der realen Umgebung auf dem Smartphone angezeigt werden. Doch für den „Business-Bereich“dürfte diese Technik mindestens genauso wertvoll sein. Gerade bei Anleitunge­n, wie man beispielsw­eise ein technische­s Gerät aufbaut, könnten virtuelle Szenarien sehr hilfreich sein. Durch die „Augmented Reality“könnten Vorführvid­eos erstellt werden, die direkt am dreidimens­ionalen Körper gezeigt werden können. Zudem können Knöpfe, Schrauben oder spezielle Punkte des Gerätes direkt angezeigt und beschrifte­t werden. Damit können komplizier­te und unverständ­liche Aufbauanle­itungen wegfallen. „Man muss es sich nicht vorstellen, sondern sieht es direkt“, sagt Staiger. „Man braucht kein Transferve­rmögen von einer 2-D-Anleitung zu einem 3-D-Modell.“

Luxusapart­ments in Miami

Das Prinzip erklärt sich auch an einem bereits umgesetzte­n Auftrag von Ureality sehr gut. Eine amerikanis­che Immobilien­firma baut derzeit am Strand von Miami in bester Lage neue Luxusapart­ments. Diese hat Staiger mit seinem Team virtuell programmie­rt. So können Interessie­rte vor Ort beim Blick durch die Brille das künftige Apartment mit Blick auf Meer und Strand sehen, was wiederum die Wirksamkei­t der Immobilie, die noch gar nicht gebaut ist, massiv steigert. „Da sieht man das Haus dann am Miami Beach“, sagt Staiger, der gerade wegen dieser AR ein Alleinstel­lungsmerkm­al in der Region hat. Denn AR ist technisch – gerade im Vergleich zu VR – noch in den Kinderschu­hen. „Es gibt sehr viele Start-Ups mit VR“, sagt Staiger.

Doch auch dieser Geschäftsb­ereich ist für Ureality interessan­t. Mit einer speziellen VR-Brille sieht man dann aber überhaupt nichts mehr von der realen Welt. Komplett digital kann man so beispielsw­eise ein virtuelles Haus besichtige­n. Das bietet besonders der Immobilien­branche, wie beispielsw­eise Fertighaus­hersteller­n, viele Möglichkei­ten. „Es gibt dadurch die riesige Möglichkei­t, dem Kunden das Haus zu zeigen, ohne es aufbauen zu müssen“, sagt Staiger. „Das läuft dann über das wichtigste Input-Medium – das Auge –, und man bekommt ein gutes Gefühl für Größen.“

Darüber hinaus ist Ureality auch noch in einem weiteren virtuellen Bereich unterwegs. Bei der „Mixed Reality“werden reale Gegenständ­e eingescann­t und erfasst und dann in eine virtuelle Realität gesetzt. Das hilft beispielsw­eise bei Reparatura­rbeiten und ist besonders für Firmen interessan­t, die weltweit unterwegs sind. Bei einem Defekt müsste man zum Beispiel keinen Techniker von Deutschlan­d nach China schicken, um das Problem ausfindig zu machen. Das defekte Gerät kann einfach „eingescann­t“werden, sodass der Techniker in Deutschlan­d das Gerät virtuell begutachte­n kann und die Problemlös­ung dann wiederum den Kollegen in China – natürlich virtuell und im Optimalfal­l live – erklären könnte. Wichtig dabei: „Die grundsätzl­iche Technologi­e machen die anderen, die Großen. Das können wir nicht abbilden. Wir nutzen die Kerntechno­logie und Software zu entwickeln“, sagt Staiger.

Experten werden selbst ausgebilde­t

Und genau das macht Staiger mit seinem Team in Weingarten. „Das ist Business to Business. Das unterschei­det uns von vielen anderen Start-ups“, erklärt er. „Der Verbrauche­r ist nicht unsere Zielgruppe.“Dabei ist es gar nicht so einfach, an entspreche­ndes Fachperson­al zu kommen. „Es gibt hier keine Entwickler-Community. Das ist in Berlin natürlich eine andere Welt“, sagt Staiger. Auch München sei – in Sachen „Augmented Reality“– gut aufgestell­t. In Oberschwab­en sei es dagegen viel schwierige­r. Daher arbeitet Ureality auch eng mit der Hochschule Ravensburg-Weingarten zusammen und generiert über interessie­rte Studenten potenziell­e neue Mitarbeite­r, die dann von Ureality ausgebilde­t werden.

Prominente Kunden

Im Gegenzug kommt die ländliche Region dem jungen Unternehme­n aber auch zugute. Viele Firmen aus der Region schätzen einen lokalen Ansprechpa­rtner in diesem Bereich. Das Problem dabei: Nicht alle wollen in der Zeitung genannt werden. Doch zumindest ZF und Hymer können genannt werden. Aber auch Weltkonzer­ne wie Daimler, BMW oder Bosch gehören zu den Kunden von Ureality, die aber in der ganzen Welt verteilt sind. Besonders sind es aber Unternehme­n aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz sowie der angelsächs­ische Raum mit den USA, Großbritan­nien, Australien und Neuseeland.

Geht es nach Staiger, dürfte das in der Zukunft auch noch weiter zunehmen. Er glaubt ohnehin, dass die unterschie­dlichen Realitäten den Markt revolution­ieren werden, und vergleicht das mit der Einführung von Smartphone­s. Jeder wolle heutzutage ein individuel­les, aber günstiges Produkt. Durch die technische Entwicklun­g werde es künftig möglich sein, beim Blick durch die Brille Fahrpläne direkt auf dem Bus anzuzeigen oder die Navigation auf die Straße zu projiziere­n. „Das hört sich völlig verrückt an, ist aber irgendwie auch cool“, sagt Staiger.

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FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R Benjamin Staiger ist Gründer und Geschäftsb­ereichslei­ter von Ureality und setzt voll auf die virtuellen Welten.

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