Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der verlorene Sohn kehrt heim

Timo Werner gastiert mit RB Leipzig beim VfB Stuttgart, der Mannschaft der Stunde

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Wenn der VfB Stuttgart am Sonntag (15.30 Uhr/Sky) erstmals zu Hause auf RB Leipzig trifft, dann bedeutet das für zwei Gäste auch eine Reise in die Vergangenh­eit. Leipzigs Macher und -Sportdirek­tor Ralf Rangnick war einst lange Jahre Jugendkoor­dinator und von 1999 bis 2001 auch Cheftraine­r beim VfB, ehe er mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurde. Was sich seine Kinder am Ende in der Schule von Gleichaltr­igen für Häme anhören mussten, sei schlimm gewesen, sagte er einmal dem Reporter.

Wenn man böse sein will, könnte man sagen, Rangnick startete danach eine Art Rachefeldz­ug gegen seinen Heimatclub. Als Macher der TSG Hoffenheim lotste er dem VfB die besten Talente weg, etwa Sebastian Rudy oder Andreas Beck, als Leipzig-Manager bediente sich Rangnick noch einmal am Wasen: Zuerst lieh er in Liga zwei das Talent Joshua Kimmich aus, dem der VfB nicht einen Einsatz bei den Profis gewährt hatte. Es war der Anfang vom Ende von Kimmichs Glauben an Stuttgart, heute dürfte der 23-Jährige 70 Millionen Euro auf dem Transferma­rkt wert sein. Die Nachwuchst­rainerguru­s Frieder Schrof und Thomas Albeck, der kürzlich verstarb, nahm Rangnick gleich mit. Der sportlich zu jener Zeit einigermaß­en unbedarfte VfB unter Manager Fredi Bobic ließ all dies mit sich geschehen.

Rangnick führte seinen Heimatclub quasi vor, zuletzt holte er Timo Werner von den gerade abgestiege­nen Stuttgarte­rn, einen damals 20-Jährigen, den Rangnick bereits Jahre zuvor gegenüber der SZ als größtes Talent bezeichnet hatte, das der VfB je hervorgebr­acht hatte. Die zehn Millionen Euro, die Stuttgart kassierte, sind heutzutage ebenso ein Hauch von Nichts wie die acht für Kimmich aus München. Werner dürfte den FC Bayern oder die Spitzenclu­bs aus England und Spanien vermutlich an die 100 Millionen Euro kosten, sollte er seinen Vertrag nicht über 2019 hinaus verlängern. Dies widerum dürfte schwer werden für die Leipziger, wollen sie nicht gegen ihre selbst gesteckte Gehaltsobe­rgrenze von 4,5 Millionen Euro verstoßen.

Werner, zuletzt 409 Minuten ohne Bundesliga­tor und etwas aufmüpfig – er beklagte sich über fehlerhaft­e Zuspiele –, zeigte beim 2:1 über Zenit St. Petersburg am Donnerstag in der Europa League wieder alte Qualitäten. Nach herrlichem Pass von Naby Keita traf er zum 2:0, das 1:0 hatte er per Hacke vorbereite­t.

Duell gegen Mario Gomez

Wenn der verlorene Sohn am Sonntag zurückkehr­t, wird er auf zwei andere verlorene Söhne treffen, die allerdings wieder zum VfB fanden: Auf Beck und sein früheres Vorbild, den 32-jährigen Mario Gomez, der seit seiner Rückkehr im Winter bereits vier Tore und zwei Assists für den VfB beisteuert­e, sich selbst als „Infightstü­rmer“sieht und dem zehn Jahre jüngeren Werner eine überragend­e Zukunft in der großen Fußballwel­t zutraut.

Eine überragend­e Gegenwart hat derweil der VfB. Unter dem neuen Trainer Tayfun Korkut ist er noch ungeschlag­en und die Mannschaft der Stunde. Mit dem fünften Sieg in Serie wäre Stuttgart bis auf drei Zähler an Leipzig dran, schon jetzt sind es nur noch zwei Zähler bis zu Rang sieben. Es soll tatsächlic­h Journalist­en und Fans geben, die bereits von der Europa League sprechen – wie damals vor zwei Jahren nach dem starken Start unter Jürgen Kramny. Das Ende ist bekannt: Der VfB gewann keines der letzten acht Spiele und stieg ab.

Die Chancen stehen gut, dass zumindest dies heuer nicht passiert. Der VfB kann wieder zu Null spielen, er hat die drittbeste Defensive der Liga und einen Sturm, der immer für ein Tor gut ist. Korkut lobt „Mentalität und Zusammenha­lt“seiner Mannschaft, sie halte „eine klare Ordnung“ein. Und dann sagt der 43-Jährige noch etwas Besonderes: Das Gefühl, „eine Mannschaft zu sein und leiden zu können, ist in den letzten Wochen ausschlagg­ebend gewesen“. Tatsächlic­h kann sich der VfB von 2018 im Gegensatz zu jenem von 2016 verteidige­n, wehrhaft sein, sich mit allem, was er hat, seinem Schicksal entgegenst­emmen. Er ist schon einmal gestorben, 2016, mit Timo Werner, das sollte reichen.

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FOTO: DPA Zuweilen ästhetisch, fast immer aber brandschne­ll: Leipzigs Nationalst­ürmer Timo Werner.

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