Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine bessere Welt muss möglich sein
David Byrne legt „American Utopia“vor
BERLIN (dpa) - Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, da waren die Talking Heads für viele Rockkritiker die beste Band der Welt. Ihre brodelnde Mixtur aus Post-Punk, Funk, Avantgarde-Pop und World Music klang beispiellos mitreißend. Zehn Jahre später löste Frontmann David Byrne das virtuose Quartett auf, um sich einer Karriere unter eigenem Namen zu widmen – weiterhin als Musiker, aber auch als Filmkomponist, Buchautor, Fotograf, Kolumnenschreiber und Radfahrer.
Man kann sich Byrne demnach als viel beschäftigten, jederzeit kreativen Menschen vorstellen. Und wenn er nun – nach diversen spannenden Kooperationen mit Brian Eno, Fatboy Slim und Hipster-Queen Annie Clark alias St. Vincent – sein erstes echtes Soloalbum nach 14 Jahren präsentiert, darf man einiges erwarten.
Erst recht, wenn der politisch stets hellwache US-amerikanisch/ britische Sänger und Gitarrist diese Platte „American Utopia“nennt. „Ist es ironisch gemeint? Ist es ein Witz? Meine ich es ernst?“, so hinterfragt der 65-jährige, gertenschlanke und weißhaarige Gentleman selbst den Titel. Zunächst einmal beschreiben seine zehn neuen Lieder „keinen imaginären und möglicherweise unmöglichen Ort, sondern sie versuchen die Welt zu erfassen, in der wir heute leben“, antwortet Byrne sich selbst. Und betont: „Die Songs sind ernst gemeint – der Titel ist nicht ironisch.“Gerade jetzt, so drückt er es im Interview des deutschen „Rolling Stone“aus, „braucht es etwas Hoffnungsvolles, das dem, was wir zurzeit denken und fühlen, entgegengesetzt ist, wenn wir morgens aufwachen“. Dem „Zeit Magazin“sagte er: „Ich probiere eben mit aller Macht, mich davon zu überzeugen, dass die Welt gar nicht so finster ist, wie es zurzeit den Anschein hat.“
Musik als Seelenbalsam für Verängstigte und politisch Frustrierte, als Quelle für neuen Optimismus – das hört sich ziemlich simpel an für einen bekennenden Skeptiker wie Byrne. Aber tatsächlich geht „American Utopia“einher mit einer weiteren Initiative dieses agilen Künstlers: Die von Byrne kuratierte Vortragsreihe „Reasons To Be Cheerful“soll anhand politischer, kultureller und gesellschaftlicher Vorzeigeprojekte Zuversicht verbreiten.
Lebensfreude statt Düsterheit
Auch früher war stets spürbar, dass der Rock-Intellektuelle Byrne die Lebensfreude der Düsterkeit vorzieht. Schon das Groove-Gebräu der Talking Heads war so ein Aufputschmittel. Auch sein neues Album beeindruckt wieder mit einer bunten Mischung aus exotischen Klangfarben, unverbrauchten und zugleich zugänglichen melodischen Einfällen sowie vielen raffinierten Rhythmen.
Größter Trumpf dieses zwischen Soulpop, Ethno-Sounds und ElektroRock oszillierenden Albums ist aber Byrnes unnachahmlich zickige, nervöse Crooner-Stimme, die sein ganzes Charisma, seine smarte Persönlichkeit spiegelt. Mit „American Utopia“ist diesem Pop-Universalgenie ein aufmunternder, in Bewegung versetzender Kommentar zur Weltlage gelungen. Und (hoffentlich) der Beginn eines großen Alterswerks. Eine Rückkehr zu den Talking Heads sei darin aber wohl nicht enthalten, hat David Byrne zum Leidwesen mancher Fans schon klargestellt.