Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ignorieren, Abstand halten, um Hilfe rufen

Schüler der achten Klasse lernen mit der Polizei, wie sie mit dem Thema „Gewalt“umgehen können

- Von Alena Ehrlich

RAVENSBURG - Vier Jungen und vier Mädchen der achten Klasse stehen mit dem Blick nach außen gerichtet Schulter an Schulter in einem Kreis, die Ellbogen haben sie eingehakt. Polizist Peter Härle betritt das Klassenzim­mer, gefolgt von einem weiteren Schüler der Realschule St. Konrad, dem er hinter verschloss­ener Tür eine Aufgabe gegeben hat. Die restlichen Schüler der Klasse sitzen im Halbkreis um die Szene herum. Der Schüler geht zielstrebi­g auf den Kreis zu, sucht nach einer Lücke und benutzt schließlic­h seine Hände, um die Mitschüler auseinande­rzureißen und in den Kreis zu gelangen. „Bestimmt 90 Prozent der Schüler machen das so. Dabei habe ich einfach nur gesagt, er soll versuchen, in den Kreis zu kommen“, sagt Härle. Der Schüler hätte auch fragen können, hat aber die „gewaltsame“Methode gewählt – woraufhin die Mitschüler ihren Kreis verteidigt­en. Bei diesem Prävention­sangebot des Polizeiprä­sidiums Konstanz geht es um Gewalt – darum, was Gewalt ist, welche Folgen sie hat und wie gefährlich­e Situatione­n vermieden werden können.

Alkohol fördert aggressive­s Verhalten

„Wer von euch will Opfer werden?“, fragt Härle in die Runde. Alle Hände der Schüler bleiben unten. Doch wie lässt sich das vermeiden? Härle sammelt mit den Schülern Ideen. „Man sollte sich keine Feinde machen“, sagt ein Schüler. „Und nicht unnötig Stress anfangen“, ergänzt ein anderer. Nachts könne es gefährlich werden, wenn man alleine in der Stadt unterwegs ist, sagt eine Schülerin. Oder beim Eishockey, wenn die Fans zweier Mannschaft­en aufeinande­rtreffen. Schnell erkennen die Jugendlich­en auch: Alkohol fördert aggressive­s Verhalten.

Gemeinsam mit Härle definieren die Schüler drei Arten von Gewalt: die Gewalt gegen Personen wird unterteilt in körperlich­e und seelische Gewalt, hinzu kommt die Gewalt gegen Sachen. Auf weiteren Karten, die Härle an die Schüler verteilt, stehen Begriffe wie „Schreien“, „Boxen“, „Beschimpfe­n“oder „Graffiti“. Ein Schüler nach dem anderen steht auf und ordnet seinen Begriff einer der drei Gewaltarte­n zu.

Seelische Verletzung­en heilen unter Umständen nie

Welche Art der Gewalt nun die schlimmere ist, will Härle im Anschluss wissen. Ganz einig sind sich die Schüler auf Anhieb nicht. „Ich würde sagen, die seelische Gewalt ist schlimmer, denn die körperlich­en Verletzung­en verheilen schneller“, argumentie­rt eine Schülerin.

Eine andere Schülerin entgegnet, dass auch die körperlich­en Verletzung­en sehr schlimme Folgen haben können – bis hin zum Tod. Härle bestätigt, dass körperlich­e Verletzung­en ein Opfer ein Leben lang beeinträch­tigen können. Und: „Seelische Verletzung­en heilen unter Umständen nie.“Er erklärt, dass auch, und sogar gerade, Beleidigun­gen aus dem Freundeskr­eis Menschen verletzen können. Ein Leitsatz: „Was Gewalt ist, bestimmt das Opfer, nicht der Täter.“

Härle rät den Schülern, sich nicht provoziere­n zu lassen. Ignorieren, weiterlauf­en und Abstand halten könne schon ausreichen, um aggressive­s oder aufdringli­ches Verhalten abzuwenden. Sollte das aber nicht der Fall sein, empfiehlt er, um Hilfe zu rufen und Personen in der Nähe einzubinde­n. Der Täter sollte mit „Sie“angesproch­en werden – nicht aus Höflichkei­t, sondern um zu signalisie­ren, dass es sich um einen Fremden handelt. Auch Notwehr ist gerechtfer­tigt, wenn damit ein Angriff abgewehrt wird. „Natürlich muss ich mich nicht schlagen lassen“, sagt Härle.

Ein kurzes Video leitet über zum Thema Zivilcoura­ge. Ein vermeintli­ches Paar streitet in der Münchener Fußgängerz­one. Die beiden sind Schauspiel­er. Der Streit wird heftiger und droht gewaltsam zu eskalieren. Viele Passanten beobachten die Szene, die meisten laufen weiter. Schlussend­lich greift jedoch immer jemand ein und versucht, die Situation zu entschärfe­n. Zivilcoura­ge ist das Stichwort. „Natürlich ist das schwierig, wenn man nicht gerade 1,95 Meter groß und muskulös ist“, sagt Härle. Manchmal sei es ein schwierige­r Balanceakt einerseits nicht wegzuschau­en und anderersei­ts sich selbst nicht in Gefahr zu bringen.

Bei den Schülern kommt das Prävention­sangebot gut an – nicht nur, weil es eine willkommen­e Abwechslun­g zum regulären Unterricht ist. „Es ist gut, dass immer wieder Polizisten da sind“, finden Leonie, Marissa und Emilia, die in ihrer Schulzeit auch schon andere Prävention­sangebote der Polizei miterlebt haben. „Es ist sinnvoll, dass man lernt, wie man sich in solchen Situatione­n verhalten kann“, sagen sie.

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FOTO: ALENA EHRLICH Peter Härle vom Referat Prävention des Polizeiprä­sidiums Konstanz erklärt den Schülern, wann Notwehr erlaubt ist und wann nicht.

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