Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Herr Shufu und der Daimler
Was der Einstieg des Geely-Chefs für Daimler in China bedeutet
PEKING - Falls Daimler den Einstieg von Li Shufu im Unternehmen kritisch sieht, ließen die Stuttgarter es sich nicht anmerken. Mit positiven Aussagen begrüßte Daimler Li an Bord. Der Gründer und Chef des chinesischen Autobauers Geely hatte sich Ende Februar überraschend 9,69 Prozent an dem Konzern gesichert. „Es war ein gutes Gespräch mit einem sehr erfolgreichen Unternehmner“, sagte Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche auf der Automesse in Genf über ein Treffen mit Li zum Ausloten möglicher Kooperationen in der Elektromobilität.
Zugleich verstärkt Daimler das Engagement mit seinem langjährigen Partner in China, dem Staatskonzern Beijing Automotive Industry Holding (BAIC). Nur wenige Tage nach Lis Coup kündigten beide gemeinsame Milliardeninvestitionen an. Für umgerechnet 1,5 Mrd. Euro soll eine bestehende BAIC-Fabrik modernisiert werden, um diese als zusätzlichen Produktionsstandort des Joint Ventures Beijing Benz (BBAC) auszubauen. Vergangene Woche teilte Daimler mit, knapp vier Prozent an Beijing Electric Vehicle (BJEV), der Elektro-Tochter von BAIC, erworben zu haben. BAIC konzentriert sich seit einiger Zeit vor allem auf die Entwicklung preiswerter Elektroautos.
Die Lage durch Lis Einstieg bei Daimler ist komplex. Die Marke BAIC konkurriert mit der Marke Geely. Und auch Daimler ist eigentlich ein Konkurrent von Li Shufu, denn zu dessen Geely-Gruppe gehört seit 2010 auch die schwedische Premiummarke Volvo.
Daimler hat neben BAIC einen weiteren chinesischen Partner: Mit dem lokalen Elektro-Pionier BYD aus Shenzhen in Südchina entwickeln und bauen die Stuttgarter eine kleinere Zahl Elektroautos der Marke Denza. „Es ist noch zu früh zu beurteilen, was Lis Einstieg für Daimlers existierende China-Kooperationen letzlich bedeutet“, sagt Yale Zhang, Chef von Automotive Foresight. Li Shufu sicherte in der „Bild“Zeitung zu, keine Veränderungen dieser Kooperationen anzustreben.
Daimler wiederum betont die Bedeutung der Partnerschaft mit BAIC: „Die Investition in BJEV ist ein weiterer Meilenstein in der engen Zusammenarbeit zwischen Daimler and BAIC“, sagte Troska. BAIC-Vorstandschef Xu Heyi stieß ins gleiche Horn: Der Einstieg Daimlers bei BJEV bringe „die Zusammenarbeit zwischen BAIC und Daimler auf eine ganz neue Ebene“. Zum Einstieg Lis bei Daimler sagt BAIC nichts – öffentliche Äußerungen von Staatskonzernen sind rar.
China ist größter Einzelmarkt für Mercedes-Benz; 2017 wurden 587 868 Autos verkauft, knapp 26 Prozent mehr als 2016. Rund 70 Prozent der Autos werden laut Daimler lokal produziert. 2017 gaben Daimler und BAIC zudem bekannt, rund 665 Mio. Euro in Elektroautos und eine lokale Batterieproduktion bei BBAC zu investieren. Das erste Modell der Mercedes-Benz Marke EQ , der Sportgeländewagen EQC, soll ab 2019 in Peking vom Band laufen.
Interessant wird, was Li Shufu nun anstrebt. Er sei an der Marke Mercedes interessiert gewesen, sagte Li der Nachrichtenagentur Bloomberg: „Es war eine reine Geschäftsentscheidung.“Parallel wurde allerdings bekannt, dass Li zuvor nicht nur Gespräche mit Fiat Chrysler, sondern auch mit BMW über eine Partnerschaft geführt hatte. BMW hatte er nach einem Bericht des „Spiegel“einen Handel angeboten: Unterstützung beim Marktzugang in China für das Elektroauto-Knowhow der Münchner. BMW bestätigte stattdessen Pläne, gemeinsam mit dem SUV-Bauer Great Wall Motor Elektroautos zu bauen, unter anderem eine E-Version des MINI.
Beobachter gehen davon aus, es gehe Li bei Daimler vor allem um Know-how. Der „Bild“-Zeitung sagte Li indes, er sei ausschließlich an zukünftiger Technologie interessiert. Nach Berichten der Nachrichtenagentur Reuters sieht Geely Potenzial in schnellen Internetverbindungen für autonome Fahrzeuge, die Daimler derzeit entwickele. Li glaube, dass nur zwei oder drei der Hersteller die kommenden Verwerfungen im Autosektor überleben werden. „Angesichts der Herausforderung durch neue Mitspieler von Tesla bis Google müssten die traditionellen Autobauer Allianzen formen“, ließ Li in China verlauten.
Elektrifizierung sei eine guter Startpunkt für eine etwaige Zusammenarbeit, glaubt auch Experte Zhang. „Aber Lis Vision geht wahrscheinlich weit über technologische Kooperation hinaus.“Li sei kühn, und werde auf Gelegenheiten warten, um etwa Einfluss im DaimlerVorstand zu bekommen. „Er wird sehr geduldig agieren, wie er es bei Volvo gezeigt hat.“
Als Geely 2010 Volvo von Ford übernahmen, war die Skepsis groß. Doch Li ließ Volvo viel Unabhängigkeit und belebte die schwedische Marke. Zugleich profitierte die Marke Geely dank Volvo bei Technologie, Design und Qualität. 2017 legte der Absatz um 63 Prozent auf 1,24 Millionen Autos zu, womit Geely derzeit eine der am schnellsten wachsenden Marken Chinas ist. Im Dezember stieg Geely zudem bei AB Volvo ein, dem weltweit zweitgrößten Lkw-Hersteller – hinter Daimler.
Li erwarb seit 2010 zudem den Sportwagenbauer Lotus, 49,9 Prozent am malaysischen Autokonzern Proton und den Hersteller der berühmten Londoner Taxis, LEVC. „Meine Investition (bei Daimler) wird bedeutungslos sein, wenn keine Kooperation daraus entsteht“, zitierte das News-Portal cnstock.com Li Shufu vor wenigen Tagen. „Natürlich werden einseitige Ideen nicht funktionieren. Nur Projekte zum gemeinsamen Vorteil haben Zukunft und Vitalität.“Welche Projekte er dabei im Kopf hat, wird sich zeigen.