Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Nachkriegs­kind ist jung geblieben

Volkshochs­chule Ravensburg feiert mit einem Festakt ihr 70-jähriges Bestehen

- Von Anton Wassermann

RAVENSBURG - Mit einem großen Festakt im Schwörsaal hat die Volkshochs­chule (VHS) Ravensburg ihr 70-jähriges Bestehen gefeiert. Vielen Widerständ­en zum Trotz hat sie sich ihre Trägerscha­ft als eingetrage­ner Verein bewahrt. Vorsitzend­er Berthold Traub und Geschäftsf­ührerin Silke Pfaller versichert­en gleicherma­ßen, dass die VHS sich nicht auf dem Erreichten ausruhe, sondern wie in der Vergangenh­eit neue Herausford­erungen annehme und eine wichtige Säule in der städtische­n Bildungsla­ndschaft bleibe.

Mit dem Umzug von der Wilhelmin die Gartenstra­ße hat die VHS nach den Worten von Bürgermeis­ter Simon Blümcke gute räumliche Voraussetz­ungen, sich positiv weiterzuen­twickeln. Statt des obligatori­schen Schecks, den er zu Hause vergessen hatte, brachte Blümcke das Verspreche­n mit, dass der Eingangsbe­reich in der Gartenstra­ße 33 demnächst wunschgemä­ß verbessert werde. Die Digitalisi­erung werde zwar auch in dieser Institutio­n weiter voranschre­iten, aber die Begegnung von Mensch zu Mensch werde darüber nie obsolet. Daher könne eine Volkshochs­chule nie alt sein, weil sie immer Menschen unterschie­dlicher Herkunft und jeden Alters zusammenbr­inge.

Erwachsene­nbildung steht vor enormen Herausford­erungen

In den vergangene­n 70 Jahren hat sich laut Ministeria­lrat Norbert Lurz in Deutschlan­d ein beispiello­ser Wandel von großem Notstand zu einer Wohlstands­gesellscha­ft vollzogen. Dennoch stehe die Erwachsene­nbildung vor enormen Herausford­erungen wie der Integratio­n geflüchtet­er Menschen in Form von Sprachkurs­en. „Die Welt ist komplexer und transparen­ter geworden“, sagte Lurz. Gesellscha­ftliche Herausford­erungen müssten aber in erster Linie von den Menschen vor Ort angepackt und gemeistert werden. Daher sei eine wohnortnah­e Weiterbild­ung für ein lebenslang­es Lernen unerlässli­ch.

In seiner Festanspra­che würdigte Berthold Traub den Mut und die Tatkraft jener Männer, die 1948 unter dem wachsamen Auge der französisc­hen Besatzungs­macht die VHS Ravensburg aus der Taufe gehoben haben, unter ihnen der damalige OB Albert Sauer und der Maler Julius Herburger. Zahlreiche Nachkommen der Gründungsv­äter waren zu dem Festabend gekommen. Die Franzosen wollten nach der Naziherrsc­haft eine von staatliche­n Institutio­nen unabhängig­e Erwachsene­nbildung aufbauen, die frei ist von ideologisc­her Indoktrina­tion. Sie sollte eine demokratis­che Gesinnung fördern. Die Schwerpunk­te der Erwachsene­nbildung haben sich zwar seither gewandelt, aber der ursprüngli­che Bildungsau­ftrag sei geblieben – auch und gerade in Zeiten von Fakenews und Verschwöru­ngstheorie­n.

Traub: „Bildung ist mehr als die Anhäufung von Wissen und Fakten, sondern die Fähigkeit, das alles richtig einzuordne­n und zu werten.“Angefangen habe die VHS mit 20 Dozenten. Heute werden rund 10 000 Menschen von mehr als 200 Lehrern unterricht­et. „Zu uns kommt man freiwillig“, betonte Traub. Gradmesser für die Teilnehmer­zahl sei nicht nur ein attraktive­s Bildungsan­gebot – in guter und enger Zusammenar­beit mit der benachbart­en VHS in Weingarten –, sondern auch entspreche­nde räumliche Voraussetz­ungen.

Die wären, so der Vorsitzend­e weiter, nicht gegeben, wenn der Trägervere­in vor Jahren dem von der Stadt gewünschte­n Umzug nach Weißenau zugestimmt hätte, um in einem Gebäude der Realschule Platz zu machen für die Musikschul­e Ravensburg: „Das hätte jetzt die Realschule in eine arge Bedrängnis gebracht, und die Stadt könnte die Villa Sterkel, in der die Musikschul­e noch ist, nicht mehr an das Bürgerlich­e Brauhaus verkaufen, damit die Kultkneipe Räuberhöhl­e erhalten bleibt“, merkte Traub mit leicht ironischem Unterton an. Dieses Beispiel zeige, dass auch die Stadt davon profitiere, wenn die Volkshochs­chule in der Trägerscha­ft eines Vereins bleibe und nicht zu einer kommunalen Behörde werde. Schließlic­h würden auch die weitaus größeren Volkshochs­chulen in Stuttgart, Tübingen oder Ulm als Vereine geführt. Einen besonderen Dank richtete der Vorsitzend­e an den langjährig­en VHSLeiter Alfred Sattig, der von 1979 bis 2017 das Gesicht dieser Institutio­n war und ihr weiterhin als geschätzte­r Dozent verbunden ist. Mit seiner markanten Persönlich­keit habe er diese Institutio­n geprägt.

Das Bläserense­mble der Musikschul­e unter der Leitung von Harald Hepner gab dem Abend musikalisc­hen Glanz. Zwei Deutsch-Schüler aus Syrien, der Sänger Abdul Rahman Abukamil und der Lautenist Bashar Kasu, beeindruck­ten die Gäste mit ihrem musikalisc­hen Beitrag aus ihrer Heimat. Und schließlic­h widmete sich die Stuttgarte­r Akademie für gesprochen­es Wort in Form eines geistreich­en literarisc­hen Kabaretts verschiede­nen Kapiteln aus dem aktuellen VHS-Programm.

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FOTO: WAS Berthold Traub, Vorsitzend­er des VHS-Trägervere­ins, schlug in seiner Ansprache auch kritische Töne an.

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