Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

John Ferguson

- Von Bernd Adler

Neulich las ich auf Facebook einen Viertkläss­leraufsatz über das menschlich­e Gehirn.

Die letzten beiden Sätze waren die schönsten. Zitat: „Das Gehirn ist ein sehr empfindlic­hes Organ. Die meisten Leute benutzen es deshalb nur ganz selten!“

Recht hat er ja, der Junge! Dabei schadet es im Allgemeine­n nicht, ab und zu sein Hirn einzuschal­ten. Nicht nur zum Denken, sondern auch, um sich an Dinge zu erinnern. Natürlich gibt es Momente des kläglichen Versagens im eigenen Leben, an die man sich besser nicht erinnert, zum Beispiel die mündliche Prüfung in Betriebswi­rtschaftsl­ehre. An manche Dinge sollte man sich hingegen auf alle Fälle erinnern, will man sich selbst nicht schaden. Dazu gehören der Hochzeits- und, noch wichtiger, der Muttertag. Das Problem ist nur: Der moderne Mensch muss täglich mehr Informatio­nen verarbeite­n als ein Mensch im 13. Jahrhunder­t während seines gesamten Lebens. Da ist es nicht verwunderl­ich, dass man dann doch mal das ein oder andere vergisst.

Also hilft nur: Aufschreib­en! Leider fühlt man sich durch Dutzende Post-It-Zettel auf dem Schreibtis­ch mit der Zeit ziemlich unter Druck gesetzt. Ein Druck, der sich steigert, wenn man eigens einen Graphologe­n zurate ziehen muss, um das eigene Gekrakel, das aussieht wie ein Herz-EKG, nach ein paar Tagen zu entziffern.

Doch was, wenn kein Zettel zur Hand ist? Dann ergeht es einem vielleicht wie dem russischen Einwandere­r, der in die USA immigriere­n wollte. Diese Anekdote verbreitet eine Broschüre der US-Einwanderu­ngsstelle Ellis Island; mehrfach fand sie in der Literatur Niederschl­ag, unter anderem bei Georges Perec und Paul Auster. Der Einwandere­r hatte einen äußert schwierige­n Nachnamen, daher riet ihm ein anderer Passagier auf dem Einwandere­rschiff, sich beim Beamten auf Ellis Island einen neuen zu geben, einen, der sich amerikanis­ch anhört. Er empfahl ihm den klangvolle­n Namen Rockefelle­r. Als der russische Einwandere­r, der als Mutterspra­che Jiddisch sprach, an der Reihe war, hatte er seinen neuen Namen aber nicht mehr präsent (und ihn sich leider nicht notiert). Also sagte er „Schon vergessen!“(auf Jiddisch: „Shoyn fargesn!“). Worauf der Einwanderu­ngsbeamte den Namen John Ferguson in seine Papiere eintrug.

Ebenfalls mit Vergesslic­hkeit zu kämpfen hatte ein Mann namens Teo, über den die „Stuttgarte­r Zeitung“in dieser Woche berichtete. Teo hatte einen Termin bei seinem Vorgesetzt­en, er war spät dran und im Stress. Er fuhr in ein Parkhaus, erreichte den Chef-Termin rechtzeiti­g – doch anschließe­nd fand er sein Auto nicht mehr. Weil er sich nicht im Geringsten daran erinnern konnte, in welchem Parkhaus er seinen Wagen abgestellt hatte.

Geschlagen­e sechs Wochen durchkämmt­e Teo, unterstütz­t von einer Gruppe Jugendlich­er, alle Stuttgarte­r Parkhäuser, und davon gibt es eine ganze Menge. Doch dann, nach wochenlang­er Suche, fand der Mann zwar keine Stecknadel im Heuhaufen, aber dafür seinen roten VW Touran in einer Parkgarage in der Nähe des Rathauses. Teo war gottfroh, denn sechs Wochen bestand sein Leben nur aus Arbeit (nachts) und Autosuche (tags).

Falls Sie heute also auf den Wochenmark­t wollen und mit dem Auto in die Innenstadt fahren: Schreiben Sie sich unbedingt auf, wo Ihr Auto steht! Oder noch besser: Fahren Sie mit dem Bus. Und notieren Sie sich sicherheit­shalber die Nummer Ihrer Linie.

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