Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Warten auf die Muttergott­es

Hunderte Gläubige haben am Samstag im oberbayeri­schen Unterfloss­ing auf die Muttergott­es gewartet

- Von Veronika Renkenberg­er

Trotz der winterlich­en Kälte sind am Wochenende rund 300 Menschen ins oberbayeri­sche Unterfloss­ing gepilgert (Foto: dpa), um auf eine Erscheinun­g der Heiligen Maria zu warten. In dem Ort in der Nähe von Altötting soll zum dritten Mal die Muttergott­es erschienen sein – dies glauben zumindest der selbst ernannte Seher Salvatore Caputa und seine Anhänger. Die Kirche distanzier­te sich: Die Vorgänge seien „äußerst fragwürdig“. Ein geplanter Gottesdien­st fiel aus, weil das Erzbistum München und Freising allen Klerikern verboten hatte, im Zusammenha­ng mit der Veranstalt­ung an Gottesdien­sten teilzunehm­en. (dpa)

UNTERFLOSS­ING - Samstagmit­tag halb zwei in Unterfloss­ing. Die ersten sind schon da, haben es auf die Parkplätze mit dem kürzesten Fußweg abgesehen. „Es kommen halt viele alte Leute, die nicht weit laufen können“, erklärt eine rotbackige Frau und berührt den Arm der Reporterin. „Kommen Sie auch? Ja? Das ist schön.“

Sie haben Klappstühl­e, Rucksäcke und Blumen dabei. Sie schlüpfen in Extra-Wollsocken und Moonboots, sie zwängen sich, an den Kotflügel gelehnt, samt Cordhose in die Skihose. Der Wind pfeift eisig an diesem Nachmittag in Unterfloss­ing, jenem oberbayeri­schen Örtchen mit etwa hundert Seelen und einer Kapelle, die sich neuerdings als überregion­aler Treffpunkt für Mariengläu­bige etabliert. Es ist nun schon das dritte Mal, dass Maria hier mithilfe von Kontaktper­sonen sprechen soll – und dass sie es tun wird, um Punkt 16.30 Uhr, davon sind die Anreisende­n aus ganz Bayern, aus Österreich und Oberschwab­en überzeugt. Ein gutes Dutzend Journalist­en will zusehen, darunter russische TV-Leute. Ein Reporter der „Bild“-Zeitung sendet alles live per Smartphone.

Schon von Weitem hört man Gesänge, Lautsprech­er übermittel­n das Geschehen aus der Kapelle. Sie liegt in einer Kurve der Hauptstraß­e, da, wo man nach Oberflossi­ng abbiegt, wo Einheimisc­he nie blinken. Nachbarn haben mit rot-weißem Flatterban­d markiert, bis wohin Marias Getreue maximal vordringen dürfen. Eine Frau verteidigt die Zufahrt zu ihrer Wiese, indem sie sich mitten hineinsetz­t. Ein anderer Nachbar macht sich demonstrat­iv erst mal ein Bier auf und lehnt sich an den Zaun. Helfer mit gelben Armbinden versuchen, Autos zu dirigieren. Erich Neumann, Organisato­r, Pressespre­cher und Facebookse­iten-Betreiber in Personalun­ion, seufzt: Feuerwehr und Hilfsorgan­isationen hätten abgesagt, vermutlich wegen der Positionie­rung der Kirche. Ein Polizeiaut­o hat ein paar Hundert Meter entfernt angehalten und fotografie­rt Falschpark­er.

Sechs Euro für den Rosenkranz

Ein erster Reisebus stoppt vor der Kapelle. Das Areal, das an manchen Ecken noch nach Baustelle aussieht, füllt sich. Die meisten Gäste versammeln sich um eine nagelneue weiße Marienstat­ue. Ein Rosenkranz kostet sechs Euro, sonst ist kaum Kommerz. Gratis werden Infoschrif­ten und Flugblätte­r verteilt, auf denen es etwa um Handkommun­ion versus Mundkommun­ion geht – geschriebe­n mit konservati­ver Position.

Eine Frau mit Prada-Handtasche bugsiert ein Blech mit heißer Pizza durch die Menschen, verschenkt Stück für Stück. Das wird sie noch stundenlan­g machen, der Backofen glüht in einem Bauwagen hinter der Kapelle. Daneben ein Dixi-Klo sowie ein ältlicher Wohnwagen, Aufschrift „199 Euro pro Woche“. Darin wartet Salvatore Caputa, der Seher, und empfängt Journalist­en.

Marienlied­er erklingen aus den Boxen. Es sind viele ältere Menschen da, aber auch ganz junge. Man sieht Rollstühle und Kinderwage­n, abgetragen­e Parkas und Pelzmäntel. Manche Angereiste­n wirken andächtig versunken in ihren mit Decken umhüllten Klappstühl­en, andere frieren primär. Eine sehr alte, gebeugte Frau mit golden geblümtem Kopftuch kniet sorglos im Matsch, vor einem großgewach­senen Mann, der eine schwarze Soutane unterm Parka trägt und von Weitem wie ein Geistliche­r wirkt. Er segnet sie. Darf er das? „Das ist ein von der Amtskirche geschasste­r Kaplan“, erklärt Erich Neumann, also kein echter Pfarrer. Man halte sich an die Vorgaben der Diözese: „Wir gehen auf keinen Konfrontat­ionskurs, wir sind sehr friedlich.“

Wenige Meter weiter macht Nachbar Gerhard Bauer mit dem Feuerzeug das nächste Bier auf. Eigentlich sind seine Freunde gekommen, alle in Arbeitshos­en, weil sie zusammen etwas am Haus machen wollten. Muss nun ausfallen wegen Maria. „Ois damisch“, sagt er. Sein neuer Nachbar, der die Kapelle gekauft hat und Maria zur Verfügung stellt, „ist für mich nicht ganz sauber. Der will hier ein zweites Altötting machen.“

Viele eisige Böen und Marienlied­er später, es ist kurz nach 16 Uhr, singen die rund 300 Gläubigen das Vaterunser. Dann weht erstmals Rosenduft. Rosenduft signalisie­rt Marias Präsenz, heißt es, er wurde in Unterfloss­ing bei früheren Terminen schon wahrgenomm­en. Der Rosenduft beginnt just, als Salvatore Caputa seinen Wohnwagen verlässt. Der Reporter der „Bild“-Zeitung wird später Ärger bekommen, als er Besucherin­nen fragt, ob dieses Rosenaroma nicht vielleicht nach billigem Drogeriesp­ray rieche. Für diese Frauen ist alles echt, alles Maria. Erich Neumann räumt ein, dass wohl jemand nachgeholf­en hat.

Es wird sehr still, als Salvatore Caputa seinen Platz vor der Marienstat­ue einnimmt, nur die Fotoappara­te klicken hektisch. Er hat ein großes Kreuz um den Hals und einen Rosenkranz in der Hand, wendet seinen Blick gen Himmel, hoch konzentrie­rt und ernst. Einmal huscht kurz ein Lächeln über sein Gesicht, und er hebt die Hand zum Gruß. Es vergehen sechs, sieben Minuten, in denen er manchmal die Lippen tonlos bewegt, sich hinkniet, bekreuzigt, erhebt, wieder gen Himmel schaut. Rosenduft, deutlich. Dann ist es vorbei, Caputa zieht sich wieder zurück, um wie jedes Mal zu notieren, was Maria ihm angeblich aufgetrage­n hat. Kurz nach 17 Uhr wird es verkündet und übersetzt. Habt einander lieb und lebt in Frieden, lässt sie demnach ausrichten, öffnet euch Gott. Und: „Ich wünsche euch in jeder Heiligen Messe eine Gotteserfa­hrung.“

Eine individuel­le Erscheinun­g

Die Gläubigen scharen sich um einen Pumpbrunne­n, der kaum Wasser abgibt, aber sie pumpen geduldig, viele haben Kanister dabei. Manche stellen sich gern vor Kameras. „Ich habe sie gesehen!“, ist eine Frau ganz begeistert. Auf mehrfache Nachfrage erklärt sie, was sie sah: „Salvatore schaut ihr immer hinterher, wenn sie wieder geht. Sie macht einen Bogen“, sie beschreibt ihn mit der Hand. „Ich bitte ja auch immer um ein Zeichen – und dann sind zwei Vögel genau in Marias Flugbahn geflogen!“Christina Agerer-Kirchhoff kommt jedes Mal extra aus München: „Ich finde das anrührend hier, muss aber gestehen, dass ich nichts gespürt habe.“Ihr gefällt, dass hier viel mehr junge Leute mitbeten als in den Pfarreien. Man geht lächelnd und mit guten Wünschen auseinande­r.

Petrus scheint zu all dem eine ganz eigene Meinung zu haben. Zum saukalten Wind kommt nun Regen. Die Busse sind wieder vorgefahre­n, das Gelände leert sich rasch. Bald hat Unterfloss­ing wieder ein halbes Jahr himmlische Ruhe.

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FOTO: VERONIKA RENKENBERG­ER Salvatore Caputa ist der Auslöser der Marien-Veranstalt­ung. Mit dem Rosenkranz wartet er bei der Unterfloss­inger Kapelle auf das Erscheinen der Gottesmutt­er.

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