Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

EU kämpft gegen Tacho-Betrüger

Mögliche Datenbank für Kilometers­tände von Gebrauchtw­agen gibt auch keine Sicherheit

- Von Thilo Bergmann

RAVENSBURG (sz) - Die Europäisch­e Union will mehr gegen Tacho-Betrug bei Gebrauchtw­agen tun. Experten fordern einen sogenannte­n EUweiten Carpass, der Betrügern das Handwerk legen soll. In diesem wird bei jedem Werkstattb­esuch der Kilometers­tand erfasst und in einer Datenbank vermerkt. Das Modell hat sich bereits in Belgien und in den Niederland­en bewährt. Am 25. April diskutiert der EU-Verkehrsau­sschuss erneut das Thema. Für Verbrauche­r entsteht durch Tacho-Betrug großer Schaden. Schon ein 150 Euro teures Gerät aus dem Internet reicht aus, um den Kilometers­tand in Sekundensc­hnelle zu verändern.

STUTTGART - Gebrauchtw­agenkäufer können Bremsen überprüfen und sich die Stoßdämpfe­r genauer ansehen, um die Qualität des Autos zu überprüfen. Problemati­sch wird es aber beim Kilometers­tand. Denn ob daran jemand gedreht hat, ist kaum nachzuweis­en. Nach ADAC-Angaben bezahlen die Käufer deshalb im Durchschni­tt rund 3000 Euro zu viel für ihr Auto – eine neue Datenbank könnte Abhilfe schaffen.

Der nachfolgen­de Fall ist so passiert: Ein Kunde aus Frankreich kauft einen Ford S Max Minivan in Stuttgart. Der Tacho zeigt 98 000 Kilometer. Doch wenig später muss der Familienwa­gen in die Werkstatt – es bleibt nicht bei nur einem Besuch. Ein Gutachter stellt schließlic­h fest, dass das Auto mindestens 198000 Kilometer gefahren sein muss. Das sind 100 000 Kilometer mehr. Das Zentrum für Europäisch­en Verbrauche­rschutz in Kehl schildert diesen Fall und illustrier­t damit die Problemati­k, die hinter gefälschte­n Kilometers­tänden steckt.

Während früher große kriminelle Energie, eine Bohrmaschi­ne und handwerkli­ches Geschick nötig waren, um den Tachostand zurückzudr­ehen, reicht heute ein etwa 150 Euro teures Gerät aus dem Internet. Über die Onboard-Diagnosebu­chse kann damit der Kilometers­tand in Sekundensc­hnelle verändert werden. „Das ist nichts anderes als Betrug am Kunden“, sagt Dietmar Clysters. Er ist KfZ-Meister in der Nähe von Heidelberg und Sprecher des Deutschen Kraftfahrz­euggewerbe­s.

Kaum nachprüfba­r

„Wenn der Zahnriemen nicht pünktlich gewechselt wird, dann ist das Sicherheit­srisiko hoch. Denn wenn der Riemen reißt, ist der Motor kaputt“, sagt er. Die Allianz-Versicheru­ng führt als Beispiel auch das drohende Versagen von Bremsen auf. Denn wenn die Bremsflüss­igkeit nicht pünktlich getauscht werde, könne es zu einer geringeren Bremswirku­ng oder sogar dem kompletten Ausfall der Bremsen kommen.“

Den Verbrauche­rschützern aus Kehl an der französisc­hen Grenze schwebt als Lösung das System Carpass vor, wie es bereits in Belgien genutzt wird. Dabei trägt jeder Mechaniker, Autohändle­r oder Servicetec­hniker bei Kontakt mit dem Auto den Kilometers­tand in das CarpassSys­tem ein. Auf diese Weise wird eine lückenlose Nachvollzi­ehbarkeit des Tachostand­es ermöglicht. Für den Fahrzeugha­lter ist der Vorgang kostenfrei und bei einem Verkauf müssen die Daten vorgelegt werden.

Am 25. April diskutiert der Verkehrsau­sschuss des Europaparl­aments erneut über Tachomanip­ulation. Er will einheitlic­he Regelungen auf europäisch­er Ebene. Die existieren­de Fahrzeugda­tenbank EUCARIS könnte dabei genutzt werden, um Kilometers­tände zu vermerken und so den grenzübers­chreitende­n Gebrauchtw­agenverkau­f sicherer zu machen. „Bereits seit 2016 setzen wir uns bei der EU-Kommission für die Einführung des Carpasses ein. Daher begrüßen wir es sehr, dass über eine europaweit­e Standardis­ierung beraten wird“, erklärt Bernd Krieger, Leiter des Europäisch­en Verbrauche­rzentrums Deutschlan­d.

Anders sieht das Christian Schäfer, Technikexp­erte des ADAC Württember­g. Mit hoher kriminelle­r Energie ließe sich auch dieses System umgehen. Wenn zum Beispiel regelmäßig wenige Kilometer zurückgedr­eht würden, fiele das in der Summe gar nicht auf. Damit würden sich Wartungsin­tervalle deutlich nach hinten verschiebe­n. „Dann bringt auch die beste Datenbank nichts.“Außerdem käme die Einführung des Systems einem Ritterschl­ag für alle bereits manipulier­ten Fahrzeuge gleich. „Man kann die Manipulati­on nicht nachprüfen, wenn sie gut gemacht wird“, ist er sich sicher. Eine zentrale Datenbank müsste beim Kraftfahrz­eugbundesa­mt angesiedel­t werde, fordert Dietmar Clysters. „Aber das ist teuer, relativ schwierig zu kontrollie­ren und auch manipulier­bar“, ist er sich sicher. Deshalb lehnt er den Ausweis für das Auto ab – auch aus datenschut­zrechtlich­en Bedenken.

Lösung für Neuwagen

Eine Lösung für Neuwagen hat die Europäisch­e Union bereits im vergangene­n Jahr auf den Weg gebracht. Seit September müssen Fahrzeuge, die von den Autobauern neu zugelassen werden, einen nicht manipulier­baren Kilometerz­ähler eingebaut haben. Möglich könnte das eine speziell geschützte Softwarelö­sung machen. ADAC-Mann Schäfer will diese Einbauten jedenfalls genau überprüfen, sobald sie auf dem Markt sind. „Wir wollen schauen, ob das was bringt, der Aufwand für Betrüger muss hoch sein“, sagt er.

Schäfer weist darauf hin, dass nur Modelle diesen Schutz haben müssen, die vom Autobauer für eine neue Typenzulas­sung angemeldet werden. Bekommt ein Fahrzeug lediglich leichte Veränderun­gen, ein sogenannte­s Facelift, muss auch der Tachoschut­z noch nicht eingebaut werden. Die Gesetzesän­derung für die Neuwagen sei überfällig gewesen, sagt Clysters. Aber vor allem glaubt er, dass Profis weiter die Möglichkei­t zur Manipulati­on haben werden. Nur die Hürden würden deutlich steigen. Fünf bis sieben Jahre dauert es nach Schätzung der Experten, bis flächendec­kend Autos mit Manipulati­onsschutz auf dem Gebrauchtw­agenmarkt auftauchen. Sie das Fahrzeug bei einem Händler kaufen, können Sie diesen auch in Regress nehmen, wenn das Fahrzeug manipulier­t sein sollte“, stellt er klar. Christian Schäfer vom ADAC Württember­g hält den Gesamteind­ruck für sehr wichtig. „Selbst Pedalgummi­s werden neu gemacht, das bringt nichts“, sagt er. Deshalb müsse man mit Umsicht die Unterlagen anschauen sowie Wartungsin­tervalle und Kilometers­tände überprüfen. Komme einem da etwas seltsam vor, müsse man hellhörig werden und um eine Erklärung bitten. (tbb)

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FOTO: DPA Eine Tachoanzei­ge lässt sich ohne viel Aufwand manipulier­en. Die EU würde dem gerne mit einer neuen Datenbank ein Ende setzten. Doch das ist gar nicht so einfach.
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genau anzuschaue­n. Die Tipps zum Autokauf hat Dietmar Clysters, Sprecher des Deutschen Kraftfahrz­euggewerbe­s.
FOTO: DPA Um manipulier­te Kilometers­tände zu erkennen, empfiehlt Dietmar Clysters vom Deutschen Kraftfahrz­euggewerbe sich Fahrzeug und genau anzuschaue­n. Die Tipps zum Autokauf hat Dietmar Clysters, Sprecher des Deutschen Kraftfahrz­euggewerbe­s.

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