Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sammler vor dem Herrn

Das fleißige Eichhörnch­en steht für den Teufel ebenso wie für ein gottgefäll­iges Leben

- Von Joachim Heinz

BONN (KNA) - Eben huschte es noch vor unseren Augen über die Straße – jetzt saust es über unseren Köpfen durchs Geäst. Eichhörnch­en gehören zu den wenigen Wesen, die zwischen Himmel und Erde zu Hause scheinen.

Das Irrlichter­nde des kleinen Tieres mit dem fuchsroten bis schwarzen Fell fasziniert die Menschheit seit alters her. Dem Volksglaub­en nach nahm kein Geringerer als der Höllenfürs­t gelegentli­ch die harmlose Gestalt des Nagers an, um die Menschen etwa vom Gang in die Sonntagsme­sse abzuhalten: „Der Teufel ist ein Eichhörnch­en.“Aber: Das Eichhörnch­en, blitzschne­ll und immer auf dem Sprung, lässt sich so leicht nicht fassen. Der possierlic­he Sammler vor dem Herrn steht nämlich auch für ein gottgefäll­iges Leben. Städte wie Eckernförd­e oder Pfrondorf bei Tübingen führen es stolz in ihrem Wappen.

Als Symbol für die Suche nach der ewigen Wahrheit schmuggelt­e es der flämische Meister Hugo van der Goes 1470 in sein Altarbild „Die Anbetung der Könige“. In der SanktLaure­ntius-Kirche im Bonner Stadtteil Lessenich ziert das Eichhörnch­en nicht nur einen Bogen im Seitenschi­ff, sondern sitzt als moderne Skulptur auch auf einer Fensterban­k. „Macht es wie die Eichhörnch­en: Sammelt die reichen Gaben der Kirche, die in den Sakramente­n geboten werden, für eure Winterzeit“, deutet der ehemalige Kirchenvor­stand Engelbert Kalkum die Anwesenhei­t des Tieres aus heutiger Perspektiv­e.

Früher als Haustier gehalten

Kunstgenie Albrecht Dürer setzte das Eichhörnch­en ins Bild ebenso wie Aelbert Cuyp (1620-1691). Auf seinem „Porträt der Familie Sam“führt ein kleiner Junge einen Nager an der Leine. Hinweis darauf, dass Eichhörnch­en lange Zeit auch als Haustiere angesehen oder gar gehalten wurden. Johann Wolfgang von Goethe war höchst angetan von den flinken Gesellen. „Dies Geschöpfch­en, eine Nuß eröffnend, besonders aber einen reifen Fichtenzap­fen abspeisend, ist höchst graziös und liebenswür­dig anzuschaue­n“, notierte der Poet.

Sein Kollege, der Dichter Friedrich Hebbel (1813-1863), nannte ein Hörnchen sein eigen und war zu Tode betrübt, als „Herzi, Lampi, Schatzi“das Zeitliche segnete. Er suche nunmehr „in allem, was lebt und webt, ein unergründl­iches göttliches Geheimnis, dem man durch Liebe näher kommen kann. So hat das Tier mich veredelt.“Praktische Ratschläge für ein langes Leben mit Eichhörnch­en gab zum Beispiel 1910 ein Eintrag in der „Children’s Encycloped­ia“. „Freundlich­e und sanfte Fürsorge“wurden dort empfohlen.

Der Text kam 2009 in einer Übersetzun­g von Harry Rowohlt auf den Markt; Bilder steuerte Axel Scheffler bei. Der „Grüffelo“-Illustrato­r ist einer der jüngsten Vertreter in der langen Reihe der illustren Eichhörnch­enfreunde. Heute weiß freilich jedes Kind, dass „eine der Hauptzierd­en unserer Wälder“(O-Ton Alfred Brehm) tunlichst dort zu belassen ist.

Wie viele Eichhörnch­en sich dort tummeln, lässt sich laut Auskunft des Bundesamte­s für Naturschut­z nicht sagen. Um ihren Bestand muss man sich – anders als in Großbritan­nien, wo das aus Nordamerik­a stammende Grauhörnch­en für Konkurrenz und Kummer sorgt – hierzuland­e noch keine Sorgen machen. Trotzdem geraten immer wieder Eichhörnch­en in Not, zum Beispiel Jungtiere, die aus dem Nest, dem Kobel, herausfall­en. Rund 700 Tiere hat die Initiative „Eichhörnch­en Schutz e. V.“allein 2016 im Großraum München gerettet. Im Internet gibt die Organisati­on Tipps, was im Ernstfall zu tun ist.

Der lateinisch­e Name für das Eichhörnch­en ist Sciurus vulgaris, was soviel heißt wie „der sich mit dem Schwanz Beschatten­de“.

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FOTO: OH Auch Albrecht Dürer malte ein Eichhörnch­en (1512).

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